Weser-Kurier: Der „Weser-Kurier“ (Bremen) kommentiert in seiner Ausgabe vom 14. Dezember 2010 den gemeinsamen besuch der Guttenbergs in Afghanistan:

Reality statt Show

von Joerg Helge Wagner Auf Karl-Theodor zu Guttenberg blickt das
Publikum längst wie auf einen Artisten oben in der Zirkuskuppel: Man
verfolgt staunend die waghalsigen Kunststücke am Trapez – und fragt
sich insgeheim, ob der Mann nicht bei der nächsten Drehung den Bügel
verfehlt und abstürzt. Gestern war es wieder soweit: Der
Verteidigungsminister nahm zur Visite des afghanischen Kriegsgebietes
nicht bloß zwei veritable CDU-Ministerpräsidenten und den üblichen
Medientross mit. Darunter war auch ein Talkmaster, und begleitet
wurde Guttenberg zudem von seiner Frau. Die flog zwar zur Beruhigung
aller Steuerzahler auf eigene Kosten, doch die Aufregung ist groß:
Darf die das? Darf der das? Zumindest gibt es kein Gesetz, das es
Ministern verbietet, ihre Lebenspartner auf Dienstreisen mitzunehmen.
Unterhalb der justiziablen Grenze stehen dennoch diverse Vorwürfe im
Raum: Selbstinszenierung! PR-Kampagne! Missbrauch der Soldaten!
Boulevardisierung der Politik! Das wirft zunächst die Frage auf, ob
der Minister Guttenberg so dringend endlich mal gute PR und schöne
Bilder braucht. Gab es die bisher gar nicht? Sind seine Umfragewerte
so mies, dass er nur noch an der Seite seiner Gattin eine gute Figur
abgibt? Ist er bei der Truppe unten durch? Das alles muss man mit
einem klaren Nein beantworten. Bleibt noch die Kritik im
Grundsätzlichen. „Taliban und Talkshows passen nicht zusammen“,
wettert SPD-Fraktionsgeschäftsführer Thomas Oppermann. Na, das soll
er mal Peter Scholl-Latour sagen. Die meisten Talkshows kranken doch
an ihren klinischen Bedingungen: Da reden Besserverdienende über
Hartz IV und Altersarmut und Politik-Veteranen über Bedürfnisse und
Perspektiven der Jugend. Dann doch lieber Soldaten in einem
afghanischen Hangar über Krieg, Gefahr, Angst, Verwundung und Tod –
vielleicht aber auch darüber, warum sie sinnvoll finden, was sie „am
Hindukusch“ machen. Warum sie bereits zum dritten, vierten, fünften
Mal im Einsatz sind. Genau dies scheint man links von der Mitte, wo
man den gesamten Einsatz ohnehin grundsätzlich oder kaum verhohlen
ablehnt, zu befürchten: Bürger in Uniform geben Millionen Bürgern am
Bildschirm mal ein politisch ungefiltertes Lagebild. Auffallend ist
zumindest, dass der Show-Vorwurf vor allem von jenen Politikern
kommt, die selber lieber in einer Talkshow als in einer Transall
sitzen – Gregor Gysi etwa oder Andrea Nahles. Bezeichnend ist auch,
dass selbst der Deutsche Bundeswehrverband – als Quasi-Gewerkschaft
der Soldaten durchaus nicht ministeriumshörig – keine Probleme mit
Kerner in Masar-i-Sharif hat. Missbraucht, wie Gysi argwöhnt, fühlen
sich die Soldaten offenbar keineswegs: Sie scheinen über das
gewachsene öffentliche Interesse eher froh zu sein. Vielleicht kommt
ja demnächst auch mal ein SPD-Ministerpräsident vorbei? Die
Bundeswehr „als Kulisse und Dekoration für Guttenbergs
Inszenierungen“, wie SPD-Wehrexperte Rainer Arnold schimpft? Den Mann
zeichnet aus, dass er selbst x-mal in Afghanistan war – mit und ohne
Minister. Deshalb sollte er es besser wissen: Guttenberg musste sich
wirklich nicht sieben Mal seit Amtsantritt den Risiken dieser Reisen
aussetzen, um eine gute Figur zu machen. Er tat es aus dem gleichen
Grund wie Arnold: um einen Eindruck aus erster Hand zu gewinnen. Was
man den Guttenbergs wirklich vorwerfen kann: Sie sehen besser aus und
und sind gewandter als die allermeisten deutschen Polit-Promis. Das
allerdings ist ein völlig politikfreier Vorwurf.
joerg-helge.wagner@weser-kurier.de

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