WDR/NDR: Ermittlungen wegen Abrechnungsbetrugs – Schwere Vorwürfe gegen früheren Chefarzt

Wurden kosmetische Brustvergrößerungen teilweise auf Kosten der
Krankenkasse abgerechnet? Diesem Verdacht geht nach Informationen von WDR und
NDR derzeit die Staatsanwaltschaft Bochum bei einer Klinik im Ruhrgebiet nach.

In einem bislang noch nicht absehbaren Ausmaß sollen an der Paracelsus-Klinik in
Marl Operationen falsch abgerechnet worden sein. Nach Recherchen von WDR und NDR
soll es um Eingriffe gehen, die der ehemalige Chefarzt der Gynäkologie, Dr. E.,
in den Jahren 2017 und 2018 durchgeführt hat. An der Klinik hat er regelmäßig
auch kosmetische Eingriffe durchgeführt, z.B. Brustvergrößerungen. In mehreren
Fällen soll den Frauen allerdings in ein und derselben OP auch Gewebe entnommen
und zur Brustkrebsabklärung eingeschickt worden sein. Dieser Teil des Eingriffs
soll mit den Krankenkassen abgerechnet worden sein, möglicherweise zu Unrecht.
Nun ermittelt die Staatsanwaltschaft Bochum wegen des Verdachts auf
Abrechnungsbetrug und anderer Straftaten.

Ein solcher Verdacht soll sich unter anderem aus einer umfangreichen Anzeige
ergeben, die Anfang des Jahres bei der Schwerpunktstaatsanwaltschaft für
Wirtschaftsstrafsachen in Bochum einging.

Die Bochumer Staatsanwaltschaft bestätigte auf Anfrage von WDR und NDR die
Ermittlungen gegen einen früheren „Arzt in leitender Stellung“ wegen des
„Verdachts des Betruges zum Nachteil von Krankenkassen und anderer Straftaten“.
Dieser stehe im Verdacht, „tatsächlich erbrachte Leistungen gegenüber den
Krankenkassen unzutreffend abgerechnet“ zu haben. Im Frühsommer sei es deshalb
zu Durchsuchungsmaßnahmen in mehreren Privat- und Geschäftsräumen im Rheinland
und im Ruhrgebiet gekommen. Dabei soll nach den Recherchen auch die Klinik
durchsucht worden sein.

Dr. E., der mittlerweile eine Privatklinik für Schönheitsoperationen betreibt,
äußerte sich auf Anfrage nicht zu den Vorwürfen. Über seinen Anwalt teilte er
mit, dass er in dem laufenden Verfahren und ohne Zustimmung der Klinik in Marl
„nicht befugt“ sei, Auskunft zu erteilen. Sein Anwalt verwies auf die
Unschuldsvermutung.

Dr. E. wurde nach knapp zwei Jahren als Chefarzt in Marl im Juli 2018 fristlos
gekündigt – allerdings nicht wegen der Vorwürfe, die die Staatsanwaltschaft nun
erhebt. Die Klinikum Vest GmbH, zu der die Paracelsus Klinik in Marl gehört,
erklärte, dass später weitere Kündigungsgründe nachgereicht und fortlaufend
ergänzt worden seien. Um die Kündigung wird derzeit vor einem Arbeitsgericht
gestritten.

Während seiner Tätigkeit sollen Patientinnen für kosmetische Eingriffe auch
mehrfach direkt in bar bezahlt haben. Dies sei dem Chefarzt dann bereits im März
2017 – also mehr als ein Jahr vor seiner Kündigung – per Dienstanweisung
untersagt worden. Die Klinik erklärt weiter, man habe die Staatsanwaltschaft
über die Vorwürfe selbst informiert und stehe weiterhin mit ihr in engem Dialog.
Konkret angesprochen auf einen möglichen Abrechnungsbetrug bei
Schönheitsoperationen antwortete die Klinik: Soweit sie „von den angesprochenen
Vorwürfen Kenntnis erlangt“ habe, habe sie der Staatsanwaltschaft die
notwendigen Unterlagen weitergeleitet. Wer möglicherweise innerhalb der Klinik
wann von was Kenntnis erlangt hat, ist bislang unklar. Die Klinik erklärte, dies
sei auch Gegenstand der staatsanwaltlichen Untersuchung.

Die Gynäkologie in Marl ist ein Standort des Brustzentrums Recklinghausen – ein
Qualitätssiegel, das dafür stehen soll, dass einem Verdacht auf Brustkrebs
besonders gründlich nachgegangen wird.

Dass Operationen, in denen Implantate gesetzt werden, überhaupt mit Operationen
zur Tumorabklärung kombiniert werden, ist unter Experten auch fachlich
umstritten. Christian Rudlowski, Leiter des Brustzentrums Bergisch-Gladbach
spricht von zwei Dingen, die nicht vermischt werden sollten: „Man sollte der
Patientin immer sagen: Das ist der zweite Schritt. Wenn wir wissen, es ist alles
gutartig, wenn wir wissen, die Therapie ist abgeschlossen, dann ist der zweite
Schritt die vielleicht ästhetisch auch sinnvolle Operation. Aber das sollte man
trennen.“

Die Klinik bestreitet ausdrücklich jedes medizinische Fehlverhalten und verweist
auf zwei externe Gutachten, die unabhängig voneinander bestätigen würden, dass
es „keine rechtswidrigen Operationen ohne medizinische Indikation“ bei den
infrage stehenden Operationen von Dr. E. gegeben habe. Auch der Arzt soll sein
Vorgehen in der Vergangenheit gegenüber der Klinik fachlich gerechtfertigt
haben.

Dr. E. ist derzeit der einzige Mediziner der Klinik, gegen den ein
Ermittlungsverfahren läuft, die Staatsanwaltschaft erklärte jedoch auch, dass
Vorwürfen „gegen zwei weitere Personen wegen möglicher Straftaten im
Zusammenhang mit ihrer ärztlichen Tätigkeit in dem Klinikum gesondert
nachgegangen wird.“ Auf Anfrage dazu erklärt die Klinikum West Gmbh, man könne
ohne nähere Details dazu keine Stellung nehmen. Wenn es weitere Vorwürfe gäbe,
werde man die Staatsanwaltschaft bei ihren Ermittlungen unterstützen.

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