WAZ: Die USA nach dem Wahltag – Die Zeit der großen Reformen ist vorbei – Leitartikel von Joachim Rogge

Amerikas Wähler haben Präsident Barack Obama eine
Lektion erteilt. Zwei Jahre liegt sein triumphaler Wahlsieg erst
zurück, aus heutiger Sicht eine gefühlte Ewigkeit. Obama muss nun die
richtigen Antworten auf die bittere Lehrstunde finden, die ihm die
Wähler erteilten. Erst spät hat Obama mit einem Hauch von
Selbstkritik zu erkennen gegeben, dass seine Politik tatsächlich an
den Erwartungen der Bürger vorbeizielte. Nichts treibt Amerikas
Bürger mehr um, als die Sorge um ihre Jobs und die Zukunft des
turmhoch verschuldeten Landes. Amerika fasst nach der großen
Rezession nicht Tritt. Wie betoniert dümpelt die Arbeitslosenquote um
die Zehn-Prozentmarke herum. Der größte Mandatsverlust einer
Präsidentenpartei seit über einem halben Jahrhundert hat Obama klar
vor Augen geführt, wo Obamas Landsleute vor allem anderen die
Prioritäten ihres jungen Präsidenten sehen. Dass Obamas Demokraten
ihre Mehrheit im Senat trotz deutlicher Verluste noch knapp ins Ziel
retten konnten, ändert am desaströsen Gesamtbild wenig. Dass
ausgerechnet die Republikaner, auf deren Comeback in naher Zukunft
vor kurzem noch kaum jemand zu wetten gewagt hätte, eine derart
triumphale Auferstehung feiern können, mag Obama zwar wie ein böser
Treppenwitz der Geschichte vorkommen. An der Notwendigkeit, nun auf
die Konservativen zugehen zu müssen, ändert das aber nichts. Obama,
der Visionär und charismatische Rhetoriker, wird sich jetzt ein Stück
weit neu erfinden und in die Mitte rücken müssen, selbst auf die
Gefahr hin, die letzten verbliebenen linken Getreuen im Lager zu
verprellen. Doch die Zeit großer Reformen ist nach diesem Debakel für
Obama ohnehin vorbei. Starrsinn und arrogante Besserwisserei kann
sich Obama nicht erlauben, will er sich noch die Option offenhalten,
2012 tatsächlich wiedergewählt zu werden. Aber auch die Republikaner,
die ihre Blockadepolitik bislang so eisern durchhielten, werden sich
wandeln müssen. Mit ihrer Entscheidung haben die Wähler die beiden
großen Parteien des Landes in die Pflicht genommen, zusammen zu
arbeiten. Innenpolitischen Stillstand können sich die USA angesichts
der drückenden Probleme nicht erlauben. Ob sich die Republikaner aber
diese nahe liegende Erkenntnis zu eigen machen, wird sich schnell
zeigen. Amerikas Wähler haben den Republikanern keineswegs einen
Blankoscheck ausgestellt. Im Land ist, selbst wenn es den Anschein
hat, tatsächlich längst noch nicht vergessen, wer die Karre vor Obama
in den Dreck fuhr. Das Ansehen der Republikaner ist keineswegs so
hoch, wie das Wahlergebnis vermuten lässt.

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