Mit Urteil vom 05.06.2014 hat der Europäische Gerichtshof über ein Vorabentscheidungsersuchen des Supreme Court of the United Kingdom entschieden und sich in diesem Kontext auch mit bestimmten Aspekten des Urheberrechts und dessen Auslegung nach europarechtlichen Gesichtspunkten beschäftigt. Konkret ging es um die Frage der Auslegung von „Art. 5 der Richtlinie 2001/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Mai 2001 zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft“.
Wie hat der EuGH entschieden?
Der Tenor des obigen Urteils lautet wie folgt:
Art. 5 der Richtlinie 2001/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Mai 2001 zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft ist dahin auszulegen, dass die von einem Endnutzer bei der Betrachtung einer Internetseite erstellten Kopien auf dem Bildschirm seines Computers und im „Cache“ der Festplatte dieses Computers den Voraussetzungen, wonach diese Kopien vorübergehend, flüchtig oder begleitend und ein integraler und wesentlicher Teil eines technischen Verfahrens sein müssen, sowie den Voraussetzungen des Art. 5 Abs. 5 dieser Richtlinie genügen und daher ohne die Zustimmung der Urheberrechtsinhaber erstellt werden können.
Viele Leser des Urteils sehen in diesem Tenor eine „eindeutige Rechtslage“ und gehen nunmehr von der Zulässigkeit von Streaming aus. Ob dies zutreffend ist, soll die nachfolgende Analyse des Urteils ergeben.
Analyse des Urteils
Der EuGH nennt für eine Legalität des Streamings insgesamt folgende drei Voraussetzungen (juristisch korrekt sind es fünf Voraussetzungen – der EuGH hatte aber nur über drei zu entscheiden), die im Einzelfall kumulativ erfüllt sein müssen.
1. Vervielfältigung nur vorläufig
Zur Voraussetzung der Vorläufigkeit führt der EuGH aus:
[ … ] werden die Cachekopien gewöhnlich automatisch [ … ] durch andere Inhalte ersetzt. Somit haben diese Kopien vorläufigen Charakter.
Soweit ein Nutzer ein Werk tatsächlich nur im Browser ansieht und die Dateien im Cache unverändert gelassen werden, ist diese Voraussetzung erfüllt. Das Urteil ist an dieser Stelle nicht zu beanstanden.
2. Vervielfältigung nur flüchtig oder begleitend
Nach dem EuGH ist eine Vervielfältigung dann flüchtig,
[ … ] wenn ihre Lebensdauer auf das für das einwandfreie Funktionieren des betreffenden technischen Verfahrens Erforderliche beschränkt ist.
und dann begleitend,
[ … ] wenn sie gegenüber dem technischen Verfahren, dessen Teil sie ist, weder eigenständig ist noch einem eigenständigen Zweck dient.
Auch diese Voraussetzung ist beim Streaming gegeben, da der Inhalt des Bildschirms als flüchtig einzustufen ist und die Dateien im Cache begleitend sind.
3. Vervielfältigung stellt einen integralen und wesentlichen Teil eines technischen Verfahrens dar
Im Rahmen dieser Voraussetzung sind im Grunde zwei Punkte zu prüfen, nämlich
[ … ] zum einen, dass die Vervielfältigungshandlungen vollständig im Rahmen der Durchführung eines technischen Verfahrens vorgenommen werden, und zum anderen, dass die Vervielfältigungshandlung notwendig in dem Sinne ist, dass das betreffende technische Verfahren ohne sie nicht einwandfrei und effizient funktionieren könnte
Der Inhalt des Bildschirms (als Kopie des gestreamten Werks) und die Dateien im Cache werden im Rahmen des Betrachtens erstellt und auch wieder gelöscht. Diese beiden Vorgänge finden somit vollständig im Rahmen des Verfahrens statt.
Auch die zweite Voraussetzung ist hinsichtlich des Bildschirminhalts und der Cache-Dateien erfüllt. Die Darstellung auf dem Bildschirm ist per se wesentlicher Bestandteil der Vervielfältigung. Zwar würde ein Betrachten rein technisch auch ohne Cache-Dateien funktionieren, jedoch wäre dies bei weitem nicht so effizient im Hinblick auf die Volumina der übertragenen Daten. Der EuGH hat dies entsprechend gewürdigt und im Ergebnis beide Voraussetzungen als erfüllt angesehen.
Soweit man die bisherigen Ergebnisse zusammenfasst, ist nach der Ansicht des EuGH Streaming rechtlich zulässig. Zu beachten ist jedoch, dass im Tenor ausdrücklich Bezug genommen wurde auf Art. 5 Abs. 5 der Richtlinie.
Demnach ist eine vorübergehende Vervielfältigungshandlung nur dann zulässig, wenn die normale Verwertung des Werks nicht beeinträchtigt und die berechtigten Interessen des Rechtsinhabers nicht ungebührlich verletzt werden.
Im Urteil hat der EuGH eine Verletzung von Art. 5 Abs. 5 abgelehnt und nur äußerst knapp hierzu ausgeführt:
Sodann verletzen diese Kopien die berechtigten Interessen der Urheberrechtsinhaber nicht ungebührlich, obwohl sie den Internetnutzern den Zugang zu den auf den Internetseiten dargestellten Werken grundsätzlich ohne die Zustimmung dieser Inhaber erlauben.
Man muss sich allerdings vor Augen führen, dass das Urteil des EuGH in einem Rechtsstreit erging, der zwischen der PRCA (einer Organisation von Berufstätigen aus dem Bereich der Öffentlichkeitsarbeit) und der NLA (einer Einrichtung, die von den Zeitungsverlegern des Vereinigten Königreichs gegründet wurde) geführt wurde.
Zwar mag es durchaus sein, dass in einem Verfahren vor einem deutschen Gericht die oben genannten drei Voraussetzungen bejaht werden, jedoch ist es nach Ansicht des Autors eine gefährliche Annahme, die generelle Zulässigkeit von Streaming zu unterstellen. So lässt sich z. B. bei einem aktuellen Kinofilm durchaus die Argumentation vertreten, dass hierdurch die berechtigten Interessen des Rechtsinhabers ungebührlich verletzt werden. In diesem Fall wäre das Streaming eben nicht mehr zulässig.
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