Unverwertbarkeit von Beweismitteln aus Videoüberwachung von Arbeitnehmern? / Bundesarbeitsgericht entscheidet am 23.8.2018

Wer als Arbeitnehmer klaut, dem darf gekündigt
werden. Diese Erkenntnis dürfte wenige verwundern. Wie ist es aber,
wenn der Arbeitgeber die Beweismittel durch eine Videoüberwachung des
Arbeitnehmers gewonnen hat? Dürfen diese Beweismittel verwendet
werden? Nein, urteilte die Vorinstanz und gab der Arbeitnehmerin, die
gegen die Kündigung geklagt hatte, Recht. Die Kündigung im
vorliegenden Fall sei unwirksam. Hiergegen legte der Arbeitgeber
Revision ein – das Bundesarbeitsgericht entscheidet hierüber am
kommenden Donnerstag (BAG v. 23.8.2018, Az. 2 AZR 133/18). Erst im
vergangenen Jahr hatte das BAG durch seine „Keylogger-Entscheidung“
die Bedeutung des Datenschutzes betont, angesichts des Inkrafttretens
der neuen Datenschutzgrundverordnung zum Mai 2018, ist die anstehende
Entscheidung daher mit Spannung zu erwarten. Prof. Dr. Michael
Fuhlrott, Arbeitsrechtler und Professor an der Hochschule Fresenius,
gibt eine Einschätzung.

Den Arbeitnehmer schützen das Allgemeine Persönlichkeitsrecht und
sein Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Diese im Grundrecht
verankerten Rechte gestatten dem Arbeitnehmer, über die Verwendung
seiner persönlichen Daten grundsätzlich allein zu entscheiden. Der
Arbeitgeber hat hingegen ein berechtigtes Interesse, Straftaten und
Pflichtverletzungen seiner Arbeitnehmer im Betrieb aufzuklären. „Im
Zweifel ist zwischen allgemeinem Persönlichkeitsrecht und den
berechtigten Interessen des Arbeitgebers abzuwägen“, weiß Prof. Dr.
Michael Fuhlrott, Fachanwalt für Arbeitsrecht und Professor für
Arbeitsrecht an der Hochschule Fresenius.

Datenschutzrecht gibt genaue Vorgaben

Das Datenschutzrecht sieht daher eine solche Abwägung zwischen den
beiderseitigen Interessen gem. § 26 Bundesdatenschutzgesetz (BDSG)
vor. „Auf einzelne Arbeitnehmer gerichtete Ermittlungsmaßnahmen sind
nur zulässig, wenn der Arbeitgeber einen konkreten Verdacht einer
Pflichtverletzung oder Straftat hat. Ermittlungen –ins Blaue hinein–
sind unzulässig. Dabei gewonnene Erkenntnisse sind dann oftmals nicht
verwertbar“, so Fuhlrott.

Sonderregelungen für Videoüberwachungen

Für Videoüberwachungen finden sich im BDSG zudem genaue
Regelungen, was erlaubt ist und was nicht. Diese sind nach
Inkrafttreten der Datenschutzgrundverordnung zum 25.5.2018 nochmals
verschärft worden. Öffentlich zugängliche Räume dürfen nur überwacht
werden, wenn dies zur Wahrnehmung des Hausrechts oder zur Wahrnehmung
berechtigter Interessen für konkret festgelegte Zwecke erforderlich
ist, so schreibt das BDSG es in § 4 vor. Durch einen entsprechenden
Hinweis muss auf die bestehende Videoüberwachung hingewiesen werden.
Die erhobenen Daten sind zudem unverzüglich zu löschen, wenn die
Speicherung zur Zweckerreichung nicht mehr erforderlich ist. „Durch
das neue Datenschutzrecht sind die Vorgaben für offene
Videoüberwachungen, die Arbeitgeber zu wahren haben, nochmals
verschärft worden“, so Fuhlrott. Um eine solche Videoüberwachung
handelte es sich im aktuellen Fall.

Verdeckte Videoüberwachungen nur in Ausnahmen

Noch strenger ist hingegen der Maßstab bei verdeckten
Videoüberwachungen, also solchen, von denen der Arbeitnehmer keine
Kenntnis hat. „Verdeckte Videoüberwachungen von Arbeitnehmern sind
nur in Ausnahmefällen erlaubt, wenn der Arbeitgeber einen konkreten
Verdacht hat und andere Mittel zur Aufklärung ausscheiden“, erklärt
der Arbeitsrechtler.

Sachverhalt der aktuellen Entscheidung

Über welchen Fall muss das BAG am 23. August entscheiden? Der
Arbeitgeber betrieb eine Lottoannahmestelle und verdächtigte eine
Arbeitnehmerin aufgrund von im August 2016 angesehenen Videoaufnahmen
der offenen Videoüberwachung im Verkaufsraum, bereits im Februar 2016
mehrere Geldbeträge unterschlagen zu haben. Er kündigte daraufhin
außerordentlich fristlos.

Diese Kündigung war vor dem Landesarbeitsgericht Hamm erfolglos.
Der Arbeitgeber habe durch die lange Aufbewahrung der Videobänder
gegen datenschutzrechtliche Vorgaben verstoßen. Die Aufnahmen hätten
unverzüglich gelöscht werden müssen. Eine Einsichtnahme erst nahezu
ein halbes Jahr später sei unzulässig. Daher sei gegen das
Persönlichkeitsrecht der betroffenen Arbeitnehmerin verstoßen worden.
Das Gericht qualifizierte die Videoaufnahmen und die hierauf
beruhenden Aussagen von Zeugen als unverwertbar. Der Verstoß gegen
das Persönlichkeitsrecht der betroffenen Arbeitnehmerin überwiege
hier das Arbeitgeberinteresse an Aufklärung. Daher sei die Kündigung
unwirksam.

Entscheidung des BAG mit Blick auf neues Datenschutzrecht?

„Die Vorinstanz stellt sich damit auf eine eher formalistische
Betrachtung“, so Fuhlrott. Es sei richtig, dass das Datenschutzrecht
die unverzügliche Löschung von Aufnahmen vorschreibt. „Allerdings
muss auch in solchen Fällen eine Abwägung zwischen Arbeitgeber- und
Arbeitnehmerinteresse erfolgen.“ In anderen Fällen in der
Vergangenheit habe das BAG etwa Verstöße gegen datenschutzrechtliche
Vorgaben dahinstehen lassen, wenn es bei einer Abwägung zu einem
Überwiegen des Arbeitgeberinteresses kam. „Das Bundesarbeitsgericht
hat in mehreren Entscheidungen deutlich gemacht, dass ein Verstoß
gegen datenschutzrechtliche Normen nicht per se zur Unverwertbarkeit
führt“, meint Fuhlrott. Ob das BAG dieser Linie treu bleibt, hält er
für offen: „Einerseits hat das Bundesarbeitsgericht in der
Vergangenheit deutlich gemacht, welches Gewicht es der
Interessenabwägung beimisst. Andererseits sind durch das neue
Datenschutzrecht viele Anforderungen wie weitergehende
Dokumentationspflichten gestärkt worden, sodass das Gericht künftig
auch eine strengere Linie zugrunde legen könnte“, so Fuhlrott. Die
Entscheidung am 23. August bleibe jedenfalls mit Spannung abzuwarten.

Prof. Dr. Fuhlrott hat sich mit der Thematik des
Arbeitnehmerdatenschutzes und Fragen der Beweisverwertung bereits
mehrfach ausführlich in Fachzeitschriften befasst:

Fuhlrott: Keylogger & Arbeitnehmerdatenschutz, Neue Zeitschrift
für Arbeitsrecht (NZA) 2017, S. 1308 ff.

Fuhlrott/Schröder: Beschäftigtendatenschutz und
arbeitsgerichtliche Beweisverwertung, Neue Zeitschrift für
Arbeitsrecht (NZA) 2017, S. 278 ff.

Fuhlrott: Aktuelle Rechtsprechung zum Beschäftigtendatenschutz,
Gesellschafts- und Wirtschaftsrecht (GWR) 2017, S. 448 ff.

Für O-Töne nach der für Donnerstagmittag zu erwartenden
Entscheidung können Sie sich gerne wenden an Juliane Mischer.
Juliane.mischer@hs-fresenius.de.

Prof. Dr. Michael Fuhlrott ist Professor für Arbeitsrecht an der
Hochschule Fresenius und Fachanwalt für Arbeitsrecht bei FHM –
Fuhlrott Hiéramente & von der Meden Partnerschaft von Rechtsanwälten
mbB in Hamburg

Über die Hochschule Fresenius

Die Hochschule Fresenius mit ihren Standorten in Frankfurt am
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