Warum haben die USA so lange gebraucht, Bin Laden
zu finden?
Rolf Tophoven: Bei einer Aktion gegen den Top-Terroristen der Welt
waren sie zum Erfolg verdammt. Bin Laden wechselte die Regionen im
zerklüfteten Berggebiet zwischen Afghanistan und Pakistan, war
geschützt von befreundeten Bergstämmen, nutzte alte Seilschaften zum
pakistanischen Geheimdienst ISI und den Taliban. Ein Fehlschlag hätte
Bin Laden nur mehr zum Mythos erhoben. Deshalb musste die Aktion mit
Geheimdiensten, Drohnen Bodentruppen und Special Forces sehr genau
geplant sein.
Wie wichtig war Bin Laden für den Terrorismus zehn Jahre nach dem
11. September noch?
Tophoven: Er war der spirituelle Guru des militant-islamistischen
Terrorismus. Nachdem er angesichts seiner Verfolgung mit seiner
Eigensicherung beschäftigt war, konnte er nicht mehr operativ tätig
sein. Er war aber noch Ideologe von Al-Kaida – einer Organisation aus
metastasenhaften Zellen unter dem Dschihad-Logo.
Wie wird die Terrorszene auf Bin Ladens Tod reagieren?
Tophoven: Der Kopf der Hydra ist abgeschlagen und das wird bei den
Al-Kaida-Kadern für eine psychologische Schockwelle sorgen – und nach
einer Zeit der Lähmung für Vergeltungsaktionen. Denn Al-Kaida als
international vernetzte Terror-Holding besteht weiter.
Was heißt das für uns?
Tophoven: Genau die jüngsten Festnahmen der drei Marokkaner in
Düsseldorf und Bochum haben gezeigt, dass Al-Kaida auch nach Europa
vernetzt ist und wir im Fadenkreuz liegen. Im Ausland ausgebildete
Kader stehen auch hier für terroristische Aktionen bereit.
Wäre es für den Triumph Barack Obamas nicht besser gewesen, Bin
Laden lebendig vorführen zu können?
Tophoven: Wenn eine Spezialeinheit vor einem Top-Gesuchten steht,
zählt vor allem die militärische Effizienz und nicht die Frage nach
tot oder lebendig. Psychologisch ist der Tod Bin Ladens auch besser
für die USA: So stellen sich viele schwierige juristische und
völkerrechtliche Fragen nicht mehr.
Mit der Seebestattung Bin Ladens haben die USA gegen islamische
Riten verstoßen. Provoziert das nicht auch Gemäßigte?
Tophoven: Das verhindert vor allem einen Wallfahrtsort für
Islamisten. Dass die Seebestattung als unislamisch gedeutet werden
kann, nehmen die USA in Kauf – denn Islamisten werden Osamas Tod so
oder so für sich nutzen.
Bin Laden war Al-Kaidas Nummer eins. Wer wird ihm folgen – oder
wird die Organisation jetzt unwichtiger?
Tophoven: Aiman al-Sawahiri ist zwar als ideologischer und
Propaganda-Kopf die Nummer zwei. Doch auch um ihn wird sich die
Schlinge immer enger ziehen, ebenso um den Militärchef Younis Al
Mauretani. Doch keiner hat die Strahlkraft eines Osama bin Ladens.
Als Symbolfigur ist er nicht zu ersetzen. Al-Kaida wird aber weiter
kämpfen, weil die Organisation vor allem auf einer mittleren und
unteren Kommandoebene angesiedelt ist.
Die arabische Welt ist gerade in Aufruhr. Nutzt das den
islamistischen Hetzern?
Tophoven: In Kairo oder Tunis brannten bei den Revolutionen keine
Fahnen der USA oder Israels und es gab auch keine islamistischen
Spruchbänder. Al-Kaida hat die Revolutionen verpasst. Ich sehe die
Terrororganisation langfristig auf dem Rückzug –  auch wenn es noch
den einen oder anderen Terroranschlag geben wird.
Interview: Walther Schneeweiß
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