tz München: „Anspannung in Pakistan steigt“ tz-Interview mit Britta Petersen, Chefin der Heinrich-Böll-Stiftung in Pakistan

Osama bin Laden ist auf pakistanischem Gebiet
getötet worden. Wie wirkt das auf die Bürger im Land?

Britta Petersen: Pakistan ist sehr polarisiert: Wir selbst haben
mit Liberalen zu tun, die sich darüber freuen. Pakistanische Taliban
dagegen haben schon Vergeltungsschläge angekündigt. Auf dem Land
haben die Leute eher ihre eigenen Probleme. Aber man merkt: Die
Anspannung steigt und es kann jetzt zu Demonstrationen kommen.

Wie konnte Bin Laden jahrelang unbehelligt in einem Luftkurort
nahe einer Militärakademie leben?

Petersen: Ich glaube nicht, dass er dort jahrelang gesessen hat.
So gab es letzte Woche erst Gerüchte, dass sich Osama in der Nähe
Abbottabads zur medizinischen Behandlung aufhält. Auch
US-Sicherheitsexperten glaubten, dass er sich dauernd hin und her
bewegte. Nichtsdestotrotz ist die Lage für den pakistanischen
Sicherheitsapparat jetzt schwierig: Entweder hat er sich in einer
Militärstadt als völlig unfähig erwiesen. Oder er müsste zugeben, mit
den USA zusammengearbeitet zu haben.

Pakistans Präsident Zardari hat in einer US-Zeitung eine
Beteiligung bei Osamas Tötung abgestritten. Ist er noch Herr seines
Landes?

Petersen: Außen- und Sicherheitspolitik hier war immer schon Sache
des Militärs und nicht der Regierung. Und es ist nicht in ihrem
innenpolitischen Interesse, zu viel Nähe zu den Amerikanern zu
zeigen. Es kann daher einen Unterschied geben zwischen der gedruckten
Meinung und der Realität.

Unterstützt der pakistanische Geheimdienst Al-Kaida?

Petersen: Darüber kann nur spekuliert werden. Der frühere Chef
Hamid Gul jedoch hatte ganz offen mit Osama bin Laden sympathisiert.
Und nachdem im Januar ein CIA-Mitarbeiter in Lahore zwei Pakistanis
erschossen hat, verschlechterte sich das Verhältnis zwischen beiden
Ländern sehr. Trotzdem glaube ich aber den Zeitungsberichten, dass
beide Seiten noch viel miteinander kommuniziert haben.

Muss Pakistan jetzt Racheaktionen oder Druck der Amerikaner
fürchten?

Petersen: Obama selbst hat hervorgehoben, dass die pakistanische
Regierung den Tod Osamas begrüßt hat. Hier kann man ablesen, dass die
USA kein Interesse an der Schädigung Pakistans haben.

Wie groß ist die Gefahr, dass Islamisten in den Besitz
pakistanischer Atombomben kommen?

Petersen: Das Militär ist in der Lage, seine Waffen zu beschützen.
Trotzdem sind islamistische Tendenzen in Teilen der Bevölkerung stark
verankert und es ist nicht ausgeschlossen, dass sie irgendwann die
Macht übernehmen. Deshalb ist es das wichtigste, dass der Westen die
Demokratiebewegung hier unterstützt, den Aufbau des Gesundheitswesens
und der Verwaltung.

Gilt das auch für das afghanisch-pakistanische Grenzgebiet als
Rückzugsort der Islamisten?

Petersen: Ja. In den Stammesgebieten gilt etwa noch Recht aus der
britischen Kolonialzeit. Auch diese Gebiete müssen in das
pakistanische Staats- und Justizwesen eingebunden werden. Die Leute
brauchen Anspruch auf staatliche Leistungen. Und auf der afghanischen
Seite müssen die internationalen Truppen längerfristig bleiben.

Interview: Walther Schneeweiß

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