
Der Ökonom Michael Hüther bezweifelt, dass der Koalitionsvertrag der Bundesregierung einen echten wirtschaftspolitischen Neustart darstellt. „Machen wir uns nichts vor: Ein kompletter Neustart ist illusorisch, wenn Parteien aus der Vorgängerregierung beteiligt sind“, sagte der Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln (IW) der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ (NOZ).
Hüther sieht zentrale wirtschaftspolitische Baustellen nicht ausreichend adressiert. Insbesondere bei den Sozial-, Pflege- und Krankenversicherung fehlten konkrete Maßnahmen. „Das hat schon in den Wahlprogrammen gefehlt – dann darf man sich nicht wundern“, kritisierte der Top-Ökonom.
Hüther bemängelt, dass der Koalitionsvertrag nicht die richtigen Prioritäten setze: „Einzelne Entlastungen – wie zum Beispiel in der Gastronomie – mögen populär sein, lösen aber keine strukturellen Probleme.“ Statt immer neuer Ausnahmeregelungen brauche es beispielsweise ein stabileres Rentensystem. Auch die geplante zusätzliche Altersvorsorge – ein staatlich gefördertes Depot für Kinder – bezeichnete er als „gut gemeint, aber wenig wirksam“. Um den demografischen Wandel abzufedern, müsse deutlich mehr Kapital aufgebaut werden.
Skeptisch zeigte sich der IW-Chef auch gegenüber der geplanten Steuerfreiheit für Überstunden. „Die geplante Regelung gilt nur für Vollzeitkräfte – das benachteiligt vor allem viele Frauen in Teilzeit.“ Das eigentliche Problem sei die unzureichende Kinderbetreuung: „Wer keine Betreuung findet, kann nicht mehr arbeiten“
Die angekündigten Turbo-Abschreibungen bewertet Hüther in der NOZ hingegen positiv: „Solche Regeln helfen Unternehmen vor allem dabei, kurzfristig mehr Liquidität zur Verfügung zu haben“, so der IW-Chef. Modelle dieser Art hätten sich in den USA bereits bewährt.
Hüther zufolge sei eine spürbare wirtschaftliche Erholung bereits im zweiten Halbjahr möglich, wenn die Bundesregierung noch vor der Sommerpause entscheidende Signale setze – etwa bei Abschreibungsregeln, beim Industriestrompreis oder beim Abbau von Bürokratie. „Das reicht zwar nicht für ein starkes Jahreswachstum, aber die Maßnahmen können die Richtung und Dynamik ändern.“
Potenzial sieht Hüther in der Rüstungsindustrie – allerdings nicht als alleinigen Ausweg aus der Krise. „Sie ist kein Rettungsanker, aber Teil des Strukturwandels.“ Insbesondere Automobilzulieferer ließen sich gut in Rüstungs- oder Energietechnologie integrieren.
Pressekontakt:
Neue Osnabrücker Zeitung
Redaktion
Telefon: +49(0)541/310 207
Original-Content von: Neue Osnabrücker Zeitung, übermittelt durch news aktuell