Der Zusatznutzen neuer Medikamente ist eines der
heißesten Streitthemen der Gesundheitswirtschaft. Wie viele
Untersuchungen vor ihm kommt auch der dritte Innovationsreport der
Techniker Krankenkasse (TK) mit einer eigenen Methode daher, um den
Zusatznutzen von Innovationen zu bewerten. Das von Prof. Dr. Gerd
Glaeske (Uni Bremen) entwickelte Konzept weicht deutlich von den
offiziellen Bewertungen des G-BA ab.
Glaeske ist Vater und Erfinder der Methodik des
TK-Innovationsreports. Der Professor am Socium der Universität Bremen
(ehemaliges Zentrum für Sozialpolitik) hat heute in Berlin die 200
Seiten umfassende aktuelle Ausgabe vorgestellt. Im Unterschied zu
allen anderen Methoden benutzt Glaeske eine eigene Ampel-Skala zur
Ermittlung eines Zusatznutzens. Das Ergebnis für die im Jahr 2012
untersuchten 20 Medikamente: Einmal grün, zwölf Mal rot, sieben Mal
gelb. „Insgesamt zwölf der Wirkstoffe haben Eingang in ärztliche
Leitlinien gefunden“, erklärte der Soziologe. Dabei könnten die
meisten, wie seine Ampel zeige, keineswegs durch einen Zusatznutzen
oder therapeutische Vorteile überzeugen.
Mit dieser exklusiven Interpretation weicht Glaeske von den
Urteilen des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) ab. Bislang hat das
höchste Gremium im Gesundheitswesen 136 Nutzenbewertungen von neuen
Arzneimitteln abgeschlossen: Bei 77 Medikamenten lag ein Zusatznutzen
vor, bei 59 hatte es keinen Beleg für einen Zusatznutzen gegeben.
Wobei letzteres Urteil immer im Zusammenhang mit einer festgelegten
Vergleichstherapie zu sehen ist. „Wenn kein Zusatznutzen belegt ist,
heißt das noch lange nicht, dass da auch keiner ist“, betonte Henning
Fahrenkamp, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes der
Pharmazeutischen Industrie (BPI) in einer Pressemitteilung.
Die Bewertungen des G-BA sind in medizinischen Fachkreisen immer
wieder umstritten. Birgit Fischer, Hauptgeschäftsführerin des
Verbandes Forschender Arzneimittelhersteller (vfa), zeigte sich
irritiert, dass auch von Kassenseite das offizielle Gremium so stark
angegriffen wird: „Vollkommen irrational und unverständlich ist es,
wenn die offiziellen Bewertungen des Gremiums, in dem die Kassen eine
dominierende Stellung haben, von einzelnen Krankenkassen wiederum
durch eigene, isolierte und abweichende Bewertungen ersetzt werden“,
sagte sie in einer Pressemitteilung.
Der Hintergrund: Die TK will mit dem Innovationsreport der
Forderung nach einer Reform des AMNOG offenbar Nachdruck verleihen.
Außerdem wird vermutet, dass die Verschreibungspraxis der Mediziner
beeinflusst werden soll. Ärzte hatten wiederholt kritisiert, dass
wegen Verschreibungen hochpreisiger Medikamente Druck auf sie
ausgeübt worden sei. Dazu passt die Kritik des
TK-Vorstandsvorsitzenden Jens Baas, der bei der Vorstellung des
Berichts bemängelte, dass die in der TK- Bewertungsskala schlecht
abschneidenden Arzneimittel zu einem Großteil Einzug in die
Leitlinien der Fachärzte erhalten hätten. Glaeske möchte als Reaktion
„zusammenfassende und unabhängige Informationen für Ärzte und
Patienten“ etablieren.
Dabei gibt es die bereits für sämtliche Fachbereiche. Die
bestehenden Leitlinien werden in Deutschland in einem aufwändigen
Prozess von mehreren tausend Ärzten erstellt und alle vier bis fünf
Jahre überarbeitet. Die Kosten tragen die ärztlichen
Fachgesellschaften, eine Leitlinienkommission stellt die
Unabhängigkeit sicher. Ob Glaeske alleine diesen eingespielten
Apparat ersetzen kann, ist fraglich. Alle beteiligten Ärzte werden
durch seine Kritik jedenfalls in den Generalverdacht der inhaltlichen
Abhängigkeit gestellt.
Pressekontakt:
Stefan Rebein
Andreas Jankowiak
Redaktion Pharma Fakten
www.pharma-fakten.de
E-Mail: redaktion@pharma-fakten.de
http://twitter.com/pharmafakten
Tel.: +49 251 98776-83