Stuttgarter Zeitung: Kommentar zu BGH/Fahrradhelm-Urteil

Für die Kosten der Freiheit der einen zahlen im
Ernstfall auch andere. Die Kosten für den Unfall der Fahrradfahrerin,
die ohne eigene Schuld, aber auch ohne Helm verunglückt ist, weil ein
Autofahrer die Türe geöffnet hat, ohne zu schauen, zahlt jetzt in
voller Höhe dessen Haftpflichtversicherung. So hat es gestern der
Bundesgerichtshof entschieden. Die Vorinstanz hatte der schwer
verletzten Frau noch auferlegt, zwanzig Prozent der Unfallkosten
selbst zu tragen. Im Kern bedeutet das Urteil, dass die Allgemeinheit
solidarisch jedenfalls für bestimmte Formen des Leichtsinns eintreten
und zahlen muss.

Im ersten Augenblick erscheint es provozierend, dass die
Allgemeinheit für die Unvernunft Einzelner zahlen soll. Aber es ist
richtig so. Noch gibt es keine staatliche Helmpflicht. Die
Fahrradfahrerin hat gegen kein Verbot verstoßen. Sie war an dem
Unfall nicht schuld. Das Risiko, das sie eingegangen ist, ist eine
Folge der Freiheit, auch unvernünftig zu handeln. Das Karlsruher
Urteil ist freilich tückisch. Es schützt die Freiheit des Einzelnen
nur so lange, wie er zur Mehrheit gehört. Wenn immer mehr
Fahrradfahrer freiwillig Helme tragen, dann muss eines Tages der, der
noch keinen trägt, die Folgen für sein Handeln doch selber bezahlen.
Es ist ein Urteil, das stromlinienförmiges Verhalten prämiert. Das
Urteil mogelt sich um die Frage herum, wie viel die Freiheit des
Einzelnen der Gesellschaft wert ist.

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