Das Bundesministerium für Gesundheit setzt sich
verstärkt für Innovationen zur Verbesserung der gesundheitlichen
Versorgung ein. „Es ist klar, dass wir ein innovationsoffenes und
-freundliches System haben wollen“, sagte Stefan Kapferer,
Staatssekretär im Bundesgesundheitsministerium, in seiner Rede auf
der 4. Plattform Gesundheit des IKK e.V., der Interessenvertretung
der Innungskrankenkassen auf Bundesebene, die gestern in Berlin
stattfand. Unter der Überschrift „Suche Nutzen – Biete Priorität. Wie
kommt Neues in System?“ diskutierten maßgebliche Vertreter aus
Gesundheitswirtschaft, Ärzteschaft, Krankenversicherung,
Verbrauchervertretung und Wissenschaft vor mehr als 170 Teilnehmer.
Kapferer unterstrich, dass die Studienlage für eine konsequente
Nutzenbewertung verbessert werden müsse. „Mit dem
Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz haben wir hierfür einen ersten
Schritt gemacht, der nun konsequent weiterverfolgt werden muss. Wir
können aber nicht immer Innovationen so lange vom System
ausschließen, bis evidenzbasierte Ergebnisse vorliegen“. Dabei müssen
die Risiken für die Patientensicherheit ebenso wie für die
Finanzierung immer auch im Blick bleiben „Wir erwarten eine
Offenlegung der Studien. Wenn der Nutzen belegt ist, muss die
gemeinsame Selbstverwaltung dann aber auch die Innovation zügig in
den Leistungskatalog aufnehmen“, so Kapferer. Gegenwärtig sei das
Ministerium darüber mit den Koalitionsfraktionen im Gespräch.
Hans-Jürgen Müller, Vorstandsvorsitzender des IKK e.V., verwies
auf den gegenwärtigen Konflikt zwischen ambulant und stationär. „Im
Krankenhaus findet eine Innovation schneller Eingang in die
Versorgung. Nach dem Grundsatz: Alles, was nicht verboten ist, ist
erlaubt“, so Müller. Im ambulanten Bereich wiederum gelte der
Erlaubnisvorbehalt. Neues werde erst dann eingesetzt, wenn es durch
den Gemeinsamen Bundesausschuss zugelassen werde. „Das ist für
Patienten, Versicherte und andere Beteiligte nur schwer
nachvollziehbar“, sagte Müller, der sich im Übrigen gegen eine
verdeckte bzw. indirekte Rationierung aussprach.
„Neu bedeutet nicht automatisch gut oder gar besser“, betonte
Prof. Dr. Bernd Mühlbauer, Direktor des Institutes für Klinische
Pharmakologie am Klinikum Bremen Mitte und Vorstand der
Arzneimittelkommission. Nutzenbewertung stehe nach seiner
Einschätzung „zunächst über jede ökonomischer Betrachtung“. Denn Ziel
sei es, „jedem Patienten die für ihn optimale Versorgung zu
ermöglichen“. Aus Sicht von Mühlbauer gebe es einen „dringenden
Bedarf an echten Innovationen“. Viele Innovationen seien fragwürdig.
Mit dem Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz (AMNOG)werde es einen
Paradigmenwegwechsel geben. Und Mühlbauer stellte klar:
„Evidenzbasierte Medizin ist keine Erfindung der Kostenträger,
sondern eine Erfindung der Ärzte zum Wohle ihrer Patienten“.
Dr. Manfred W. Elff, Vorstandsmitglied des BVMed und
Geschäftsführer Biotronik, hob die Medizintechnik als
„Innovationsmotor“ hervor. Die Investitionen lägen bei rund neun
Prozent. Rund ein Drittel des Umsatzes werde mit Produkten erzielt,
die nicht älter als drei Jahre seien. 16.400 Anmeldungen eines
Patentes beim Europäischen Parlament lagen 2009 vor – damit nehme die
Medizintechnik auch in der EU einen Spitzenplatz ein. Seine
Forderung: „Die Innovationen müssen – ob stationär oder ambulant –
möglichst schnell zum Einsatz kommen, der Verbotsvorbehalt muss auf
den ambulanten Bereich übertragen und die Medizintechnik bei der
Neuausrichtung des Gemeinsamen Bundesausschusses berücksichtigt
werden“, so Elff.
„Wir haben einen riesigen Innovationsstau“. Darauf verwies Dr.
Regina Klakow-Franck, stellv. Hauptgeschäftsführerin der
Bundesärztekammer. Sie kritisierte, dass für „langwierige Beratungen“
über die Einführung von Innovationen zu viele Ressourcen gebunden
werden. Zudem betrachte sie die alleinige Fokussierung auf Evidenz
basierte Studien mit Skepsis. Wirksamkeit, Sicherheit und
Therapieerfolg seien nicht allein in klinischen Studien zu belegen,
sondern ergeben sich erst unter Alltagsbedingungen. Sie plädiere
daher für eine stärkere Einbeziehung der Erfahrungen der Ärzte.
Für Dr. Doris Pfeiffer, Vorstandsvorsitzende des
GKV-Spitzenverbandes, stehe nicht die Kostenfrage bei der Einführung
von Innovationen im Vordergrund. „Wir brauchen mehr Anreize für
Studien, damit Innovationen schneller auch in den ambulanten Bereich
kommen“, so Pfeiffer. Für jede Innovation müsse eine Frühbewertung
des Nutzens erstellt werden – ähnlich wie es im AMNOG festgelegt ist.
Dies könne „eine Art Dossier“ sein mit „entweder nachgewiesenem
Nut-zen oder Anhaltspunkte für Nutzen“. Die bisherigen langen
Bewilligungsverfahren für neue Innovationen führe sie darauf zurück,
dass „keine vernünftigen Studien vorliegen“.
„Wir haben keine ausreichende Evidenzlage“, sagte auch Prof. Dr.
Michael Schlander vom Institut für Innovation & Evaluation im
Gesundheitswesen. Rolf Stuppardt, Geschäftsführer des IKK e.V.,
verwies auf den Eindruck in der Öffentlichkeit, dass „die Beteiligten
mehr gegeneinander als miteinander“ arbeiten würden. Er forderte,
dass sich „die maßgeblichen Partner“ zusammenschließen, um gemeinsam
Kriterien für eine Nutzenbewertung abzustimmen. Und auch die
Patienten sollten dabei gefragt werden, sagte Dr. Ilona
Köster-Steinebach, Referentin Qualität und Transparenz im
Gesundheitswesen bei der Bundesverbraucherzentrale: „Eine fundierte
Nutzenbewertung ist im Interesse der Patienten“. Gute Produkte, so
ihr Resümee, brauchen Evidenz nicht zu scheuen.
Über den IKK e.V.:
Der IKK e.V. ist die Interessenvertretung von Innungskrankenkassen
auf Bundesebene. Der Verein wurde 2008 gegründet mit dem Ziel, die
Interessen seiner Mitglieder und deren mehr als 4,5 Millionen
Versicherten gegenüber allen wesentlichen Beteiligten des
Gesundheitswesens zu vertreten. Dem IKK e.V. gehören die BIG direkt
gesund, die IKK Brandenburg und Berlin, die IKK classic, die IKK
gesund plus sowie die Vereinigte IKK an.
Pressekontakt:
Pressesprecherin Fina Geschonneck, Tel. 030-202491-11,
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