Sozial unausgewogen: Viele Unterhaltspflichtige müssen eine angemessene Wohnung vor Gericht einklagen

Der notwendige Eigenbedarf – der Selbstbehalt, wird am 1.
Januar 2020 auf 1160 EUR für erwerbstätige Unterhaltspflichtige erhöht. Das
reicht aber vielfach nicht für eine angemessene Wohnung, geschweige denn wenn
darin Umgang mit Kindern stattfinden soll. Hartz-IV-Bezieher haben es da
einfacher als erwerbstätige Unterhaltspflichtige.

Der Interessenverband Unterhalt und Familienrecht (ISUV) kritisiert, dass die
Wohnkostenpauschale beim notwendigen Eigenbedarf für Unterhaltspflichtige in
Städten und Großstädten weiterhin zu niedrig ist. Ab 1. Januar 2020 steigt die
Pauschale zwar von 380 auf 430 EURO, aber damit sind die Wohnkosten höchstens in
ländlichen Gebieten abgedeckt. Der Vorsitzende des Verbandes, Rechtsanwalt Klaus
Zimmer fordert daher: „Es muss betroffenen Unterhaltspflichtigen vermittelt
werden, dass sie Anspruch auf eine angemessene Wohnung haben und sich nicht
einfach mit der Wohnkostenpauschale abspeisen lassen. Die Wohnkostenpauschale
ist nur ein Mittelwert, in Großstädten findet man dafür keine Wohnung, erst
recht nicht inklusive Heizkosten. Unterhaltspflichtige müssen für eine
angemessene Wohnung vor Gericht ziehen und sie einklagen. Mir liegt insbesondere
daran, dass die Wohnung derart angemessen ist, dass darin auch angemessen Umgang
stattfinden kann.“

Respektlos und sozial unausgewogen

ISUV-Pressesprecher Josef Linsler kritisiert die „soziale Unausgewogenheit
gegenüber Unterhaltspflichtigen“ in mehreren Bereichen des Familienrechts. Das
Sozialrecht sei „familienfreundlicher“ als das Familienrecht:
Unterhaltspflichtige müssen eine angemessene Wohnung einklagen, in der auch
Umgang mit Kindern stattfinden kann. Dagegen brauchen Hartz-IV-Empfänger nur
einen Antrag stellen um eine angemessene Wohnung zugeteilt zu bekommen. „Es ist
respektlos gegenüber Unterhaltspflichtigen, die schließlich erwerbstätig sind,
Unterhalt leisten, Sozialabgaben zahlen und dann auch noch vom Staat wie Ledige
mit Steuerklasse I abkassiert werden, so als hätten sie keine Kinder. Wenn also
diese Leistungsträger ihr selbst verdientes Geld einklagen müssen, um angemessen
wohnen zu können, so ist das entwürdigend und demotivierend“, kritisiert
Linsler.

Unterschiedliche Wohnkosten – einheitliche Wohnungspauschale

Pauschalen dienen Betroffenen immer als Orientierung, sie vereinfachen die
Gerichtspraxis. Auf Grund der Kostenexplosion auf dem Wohnungsmarkt in den
Städten und rund um die Städte spätestens seit 2015 ist eine einheitliche
Wohnungspauschale ausgehebelt. „So liegt die angemessene Warmmiete für einen
Ein-Personen-Haushalt je nach Region zwischen 350 Euro und 750 Euro“, stellt
Heinrich Schürmann, ehemals Vorsitzender Richter am OLG sowie langjähriges
Mitglied des Vorstandes des Deutschen Familiengerichtstages fest.

Defizite der Rechtspraxis

Die Macher der Düsseldorfer Tabelle haben das Problem der unterschiedlichen
Wohnkosten seit längerem erkannt. In den wichtigen, aber oft vernachlässigten
„Anmerkungen“ zur Düsseldorfer Tabelle steht seit 2015 bis heute ganz versteckt
der Satz: „Der Selbstbehalt soll erhöht werden, wenn die Wohnkosten (Warmmiete)
den ausgewiesenen Betrag überschreiten und nicht unangemessen sind.“ – „Dieser
Satz sollte alleingestellt und in Fettdruck hervorgehoben werden. Wie überhaupt
die sogenannten „Anmerkungen“ unter der Düsseldorfer Tabelle nicht einfach nur
Randerklärungen sind, sondern grundsätzliche Hinweise für die Rechtspraxis. Dies
sollte zumindest durch ein entsprechendes Layout hervorgehoben werden“, fordert
ISUV-Pressesprecher Josef Linsler.

Gebetsmühlenartig wird festgestellt, dass die Düsseldorfer Tabelle und die“
Anmerkungen“ nur unverbindliche Richtlinien sind. Erforderlich sei immer eine
Einzelfallprüfung anhand der individuellen Lebensverhältnisse. Tatsächlich wird
die Düsseldorfer Tabelle schematisch vereinfacht ohne Einzelfallprüfung
umgesetzt. Dies belege ein „Blick in die Rechtsprechung der letzten Jahre“,
stellt Professor Siegfried Willutzki, langjähriger Vorsitzender des Deutschen
Familiengerichtstages fest.

Es hat praktische Gründe, warum höhere Wohnkosten nicht eingeklagt werden. Zum
einen fahren die Gerichte ganz gut mit Pauschalen, schließlich hat man so einen
Fall schnell vom Tisch. Des Weiteren bestimmt unausgesprochen eine Struktur die
Rechtsprechung: Gerichte wollen um jeden Preis „Mangelfälle“ vermeiden, d.h. der
Mindestunterhalt der Einkommensgruppe 1 „muss“ in jedem Fall von
Unterhaltspflichtigen geleistet werden. Werden höhere Wohnkosten geltend
gemacht, werden sich Mangelfälle häufen. Das hat dann oft zur Folge: Reicht das
Einkommen nicht, so „verurteilen“ mache Familiengerichte Unterhaltspflichtige zu
einem Nebenjob, z. B. Taxifahren, einfache Serviceleistungen etc.

Anwälte könnten die Richter „antreiben“ individuell zu entscheiden, wenn sie
eine Erhöhung des Selbstbehalts auf Grund erhöhter Wohnkosten beantragen. Aber
bei vielen besteht azu wenig „Lust“, denn eine solche Klage bringt wenig ein.
Hinzu kommt, ein derartiger Antrag ist vergleichsweise mit erheblichem
Arbeitsaufwand verbunden, denn er muss gut begründet werden, um erfolgreich zu
sein. Schließlich schrecken aber auch Betroffene wegen des Prozessrisikos davor
zurück höhere Wohnkosten einzuklagen.

Ihre Bedenken sind nicht unberechtigt. „Was angemessen ist und was nicht, dazu
bedarf es wohl immer einer Einzelfallprüfung“, stellt der ISUV-Vorsitzende
Zimmer fest. Zur Vereinfachung könne er sich „messbare Kriterien“ vorstellen,
wie die „angemessene Größe“ einer Wohnung ausgerichtet am sozialen Wohnungsbau,
„einfache Ausstattung“, „ortsübliche Miete“. Des Weiteren ist individuell der
regionale Mietspiegel zu berücksichtigen. Bezugsgrößen müssen die Standards des
Sozialrechts sein. „Erwerbstätige Unterhaltspflichtige müssen sich zumindest
eine entsprechend angemessene Wohnung leisten können wie nicht erwerbstätige
Empfänger von Hartz IV-Leistungen. Ebenso muss berücksichtigt werden, ob die
oder der Unterhaltspflichtige regelmäßig Umgang mit dem Kind oder den Kindern
hat“, fordert Linsler.

Größere Wohnung bei Umgang mit Kindern

Voraussetzung für einen regelmäßigen und ausgeweiteten Umgang, für gemeinsame
Elternschaft trotz Scheidung ist eine angemessen große Wohnung. „Dieser wichtige
Aspekt wird bisher beim Selbstbehalt überhaupt nicht berücksichtigt. Wenn man
gemeinsame elterliche Sorge und Umgang ernstnimmt und ausweiten will, müssen
Unterhaltspflichtige mit Kindern entsprechend höhere Wohnkosten problemlos
geltend machen können“, fordert Linsler. Orientierung bietet das Sozialrecht:
Als angemessen betrachtet das Jobcenter eine Wohnung für eine Person mit 50 m².
Die Größe erhöht sich durch jede weitere Person um 15 m². Die Miete für die
angemessene Wohnung hat sich am ortsüblichen Mietspiegel und am unteren Bereich
der Mietkosten zu orientieren. Die Heizkosten werden zudem vom Jobcenter
übernommen.

ISUV – Kompetenz im Familienrecht seit über 40 Jahren Der ISUV vertritt als
größte deutsche und überparteiliche Solidargemeinschaft die Interessen von
Bürgern, die von Trennung, Scheidung und den damit zusammenhängenden Fragen und
Problemen betroffen sind. ISUV ist unabhängig, bundesweit organisiert und als
gemeinnützige Organisation anerkannt.

Kontakt:

ISUV-Bundesgeschäftsstelle, Postfach 210107, 90119 Nürnberg,
Tel. 0911/55 04 78, – info@isuv.de
ISUV-Vorsitzender RA Klaus Zimmer, Augustinerplatz 2, 79098 Freiburg,
0761/23455, k.zimmer@isuv.de
ISUV-Pressesprecher, Josef Linsler, Moltkestraße 22a, 97318
Kitzingen, Tel. 09321/9279671 – j.linsler@isuv.de

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