Polizeianwärter für den gehobenen Dienst werden an
Fachhochschulen mit einem Lehrbuch ausgebildet, das NS-Vokabular
enthält. Wie der stern in seiner neuesten Ausgabe berichtet, werden
in dem Lehrbuch „Kriminologie für Studium und Praxis“ von Horst
Clages und Ines Zeitner Kriminologen und Juristen zitiert, die in der
NS-Zeit eine fragwürdige Rolle gespielt haben, ohne dass dies erwähnt
wird. Darüber hinaus werden Begriffe aus der NS-Zeit verwandt, ohne
sie hinreichend einzuordnen. In einem fiktivem Beispiel über den Fall
jugendlicher Intensivtäter verwenden Clages und Zeitner den Begriff
„Sippenforschung“, der untrennbar mit der mörderischen Rassenpolitik
der Nazis verbunden ist, als wäre dies heute noch eine Methode, um
Kriminalität zu erklären. Dort heißt es: „Einerseits kann aus den
Ergebnissen der Sippenforschung auf genetisch bedingte Defekte
geschlossen werden.“ Die Autoren setzen den Begriff „Sippenforschung“
nicht einmal in Anführungszeichen. In einem Kapitel über die
„historische Betrachtung“ von „Tätertypologien“ taucht der
österreichische Kriminologe Ernst Seelig auf. Er schrieb unter
anderem über „arbeitsscheue Berufsverbrecher“ und „Verbrecher aus
Mangel an Gemeinschaftsdisziplin“. Die Autoren präsentieren auch
diese Begriffe, ohne sie weiter einzuordnen. Dass Seelig ab 1939
„Mischlingsuntersuchungen“ durchführte, ist ihnen keine Zeile wert.
Auf stern-Anfrage zeigt sich der Verlag Deutsche Polizeiliteratur,
eine 100-prozentige Tochter der Gewerkschaft der Polizei,
zerknirscht. Der Geschäftsführer Joachim Kranz teilt „nach eigener
erster Recherche grundsätzlich die Einschätzung zu den kritisierten
Passagen“. Der Verlag will jetzt prüfen, „wie es dazu kommen konnte
und welche Schritte wir intern gehen müssen, um dies zukünftig zu
verhindern“. Auch die Autoren betonen, es liege ihnen „fern,
Diskriminierungen vorzunehmen oder gar das NS-Regime in seiner
Verantwortung zu schmälern“. Ein „Handbuch“ sei „jedoch nicht
geeignet, sich mit dieser Problematik umfassend auseinanderzusetzen“.
Sie kündigen an, „bei einer Überarbeitung des Buches deutlicher auf
die Zusammenhänge in geeigneter Form hinzuweisen“.
Auf die Frage, wie das offenbar nicht gründlich lektorierte Buch
es in die Lehrbuchsammlungen von Polizeihochschulen schaffen konnte,
gibt es offenbar eine einfache Antwort: Während Schulbücher vom
Kultusministerium zugelassen werden, entscheiden Dozenten, die
Polizisten ausbilden, selbst, welche Lehrbücher sie einsetzen.
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Sabine Grüngreiff, Gruner + Jahr Unternehmenskommunikation,
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