
Sperrfrist: 17.10.2016 10:40
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Religiös motivierte Übergriffe auf christliche Flüchtlinge in
deutschen Asylunterkünften geschehen bundesweit. Dazu legen die
Hilfsorganisationen AVC (Aktion für verfolgte Christen und
Notleidende), EMG (Europäische Missionsgemeinschaft) sowie der ZOCD
(Zentralrat Orientalischer Christen in Deutschland) und Open Doors
bei einer Pressekonferenz in Berlin am 17.10. einen neuen Lagebericht
vor. In diesem Rahmen veröffentlicht Open Doors auch die neue
Erhebung „Mangelnder Schutz religiöser Minderheiten in Deutschland“,
die unter Mitwirkung der genannten Organisationen entstand. Dazu
wurden im Zeitraum Mai bis September Gespräche mit hunderten
Flüchtlingen im gesamten Bundesgebiet geführt. Neu dokumentiert
wurden dabei religiös motivierte Übergriffe auf 512 christliche sowie
10 jesidische Flüchtlinge in deutschen Asylunterkünften. Die
Hilfswerke appellieren – nach der Veröffentlichung des ersten
Lageberichts am 9. Mai mit 231 erfassten Ãœbergriffen – erneut an
Politik und Behörden, wirksamen Schutz für christliche Flüchtlinge
und Angehörige anderer religiöser Minderheiten zu gewährleisten.
„Ich habe nie erwartet, dass so etwas in Deutschland geschieht“
Viele der betroffenen Flüchtlinge haben bereits in ihren
islamischen Herkunftsländern Verfolgung und Diskriminierung erlebt
und sind deshalb nach Deutschland geflohen. Die in den
Herkunftsländern vorherrschende Bedrängung erleben religiöse
Minderheiten hier in den Flüchtlingsunterkünften eins zu eins wieder.
Ein Flüchtling aus dem Iran, der in der Erhebung erfasst wurde, sah
sich in seiner Unterkunft mit einem Schriftzug an der Wand
konfrontiert: „Es ist Zeit, allen Christen den Kopf abzuschneiden.“
Der Fall ist aktenkundig.
Den Schock dabei beschreibt er – stellvertretend für zahlreiche
weitere Betroffene – so: „Ich war erschrocken! Ich habe nie erwartet,
dass so etwas in Deutschland geschieht. Im Iran geschieht so etwas
schon. Das hat mein Vertrauen erschüttert.“
Zahlen und Fakten – Mangelnder Schutz religiöser Minderheiten
Die an der Erhebung beteiligten Organisationen sprachen bereits
nach dem ersten Lagebericht am 9. Mai von „der Spitze des Eisbergs“.
Die Vielzahl neu erfasster Ãœbergriffe belegt ein bundesweites
Problem, bei dem selbst die 743 betroffenen Flüchtlinge immer noch
die Spitze des Eisbergs sind.
Von 743 Betroffenen berichten 617 (83%) von mehrfachen
Ãœbergriffen, 314 (42%) von Todesdrohungen, 416 (56%) von
Körperverletzungen, 44 (6%) von sexuellen Übergriffen. Die Übergriffe
gingen zu 91% (674) von muslimischen Mitflüchtlingen aus, zu 28%
(205) von muslimischem Wachpersonal und zu 34% (254) von anderen
Personen. Bei den Ãœbergriffen waren oft auch mehrere Personen
beteiligt. Mangelnde Hilfe seitens Wachdienste, Heimleitung sowie
Behörden verschärfte nicht selten die Situation der Betroffenen.
De Maizière: „Wir haben die Bedeutung von Religion unterschätzt.“
Die Berichte der betroffenen Flüchtlinge machen deutlich, dass die
Übergriffe religiös motiviert sind. Die Täter fühlen sich geleitet
oder getrieben von einem Wertesystem, das sie in ihren
Herkunftsländern verinnerlicht haben und das für sie „göttliche
Autorität“ hat.
„Wir haben die Bedeutung von Religion unterschätzt“, sagte
Bundesinnenminister Thomas de Maizière im Rahmen des
„Zukunftskongresses Integration und Migration“ am 20. September mit
Rückblick auf die letzten Monate. Er weist in die richtige Richtung.
Seine (Ein-)Sicht teilen jedoch noch zu wenige der verantwortlichen
Politiker und Kirchenleiter. So schreibt eine staatliche Stelle auf
Open Doors Nachfrage: „Es wird von allen Schutzsuchenden erwartet,
dass sie unabhängig von ihrer Religion … friedlich miteinander
auskommen.“ Und weiter: „Die grundgesetzlich geschützte
Religionsfreiheit als hohes Gut steht Personen jeder Glaubensrichtung
zu.“
Aber: Flüchtlinge aus religiösen Minderheiten erleben in ihren
Unterkünften vielfach nicht die Möglichkeit, sich angstfrei zu ihrem
Glauben zu bekennen, bzw. werden mit Gewalt und Drohungen attackiert,
wenn sie dies tun.
Positivbeispiel: Behörden und Heimleitung stellen Schutz her
In einer Erstaufnahmeeinrichtung wagten 32 christliche
Flüchtlinge, von gewaltsamen Übergriffen und Morddrohungen gegen sie
zu berichten, nachdem ihnen Mitarbeiter des Regierungspräsidiums, der
Polizei und der Heimleitung Schutz zugesichert hatten. Den stellten
Heimleitung und Behörden schließlich durch eine getrennte
Unterbringung und die Zuordnung von Wachpersonal und Dolmetschern
christlichen Glaubens sicher.
Appell an Bundesregierung und Warnung vor Instrumentalisierung der
Erhebung
Die neue und erweiterte Erhebung gibt verantwortlichen Politikern
und Kirchenleitern eine solide Bewertungsgrundlage an die Hand, um
die dringend erforderlichen Schutzmaßnahmen zur Einhaltung der
Menschenrechte in unserem Land genauso wie auch die Umsetzung der
Aufnahmerichtlinie der EU (2013/33/EU vom 26. Juni 2013) zum Schutz
aller Flüchtlinge – religiöse Minderheiten eingeschlossen –
einzuleiten.
Der geschäftsführende Vorstandsvorsitzende von Open Doors
Deutschland, Markus Rode sagt: „Wer die Ergebnisse dieser neuen
Erhebung für politische Zwecke oder für die eigene Profilierung
missbraucht, wer hier eine pauschale Verurteilung von Muslimen
hineinlesen möchte, handelt politisch und gesellschaftlich
unverantwortlich. Unsere Geschichte lehrt uns, nie wieder Bedrängung
und Diskriminierung von Minderheiten zugunsten der Täter zu
ignorieren. Deshalb geht unser Appell zuerst an die Bundeskanzlerin,
hier tätig zu werden und dieses Thema nicht nur den Bundesländern zu
überlassen.“
Die Forderungen der Organisationen an die Regierung sowie
ausführliche Analysen sind in der Erhebung nachzulesen:
https://www.opendoors.de/fluechtlingsbericht (Download)
Pressekontakt:
Für weitere Fragen an die oben genannten Organisationen wenden Sie
sich bitte an unsere Pressekoordinationsstelle, Herrn Ado Greve, oder
direkt an die Organisationen.
T +49 6195 – 67 67 180
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