OLG Hamm, Urt. v. 03.09.2013 – (26 U 85/12), 220.000 Schmerzensgeld wegen Darmperforation i

Ein Facharzt für Chirurgie wurde zur Zahlung von 220.000 Schmerzensgeld verurteilt, weil er seinen Patienten über die Risiken einer Koloskopie (Darmspiegelung) nicht aufgeklärt hat, in deren Folge der Patient eine Darmperforation mit schwerwiegenden Komplikationen erlitten hat. Dies entschied der 26. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Hamm mit Urteil vom 03.09.2013 in Abänderung der erstinstanzlichen Entscheidung des Landgerichts Bielefeld.

Der seinerzeit 48 Jahre alte Kläger wurde wegen Blutungen im Stuhlgang beim beklagten Facharzt für Chirurgie in Bielefeld vorstellig. Dieser führte im November 2007 eine Koloskopie mit Polypenabtragung durch. In Folge dieses Eingriffs kam es zu einer Darmperforation, die wenige Tage später notfallmäßig operiert werden musste. Der Kläger erlitt dabei eine Bauchfellentzündung, musste sich zudem weiteren Operationen unterziehen und über Monate intensiv-medizinisch behandelt werden. Er ist nunmehr frühberentet und zu 100% behindert. Ihm musste ein künstlicher Darmausgang gelegt werden. Der Patient verlangte u.a. mit der Begründung, er sei über das Risiko einer Koloskopie und über Behandlungsalternativen nicht ordnungsgemäß aufgeklärt worden, vom Beklagten Schadensersatz und Schmerzensgeld verlangt.

Der 26. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Hamm hat dem Kläger 220.000 Schmerzensgeld, dessen Höhe durch den komplikationsträchtigen Krankheitsverlauf mit einer langen Behandlungszeit und bleibenden Beeinträchtigungen, die schließlich zu einer Frühberentung geführt hätten, gerechtfertigt sei.

Der Beklagte hafte, weil nach der Überzeugung des Gerichts davon auszugehen sei, dass er den Kläger ohne ordnungsgemäße Aufklärung behandelt habe; insbesondere stand fest, dass er den Kläger nicht über das behandlungsspezifische Risiko einer Darmperforation ausgeklärt hat. Nach der Einschätzung des im Verfahren gehörten medizinischen Sachverständigen sei eine im Rahmen einer Koloskopie auftretende Darmperforation zwar eine seltene Komplikation. Trete sie jedoch ein, hätte sie überwiegend eine Bauchhöhlenentzündung zur Folge, die lebensbedrohlich sein könne und operativ behandelt werden müsse. Deswegen sei über das Risiko einer Perforation aufzuklären. Entscheidend für die ärztliche Aufklärungspflicht ist nicht etwa ein bestimmter Grad der Risikodichte, sondern vielmehr, ob das betreffende Risiko dem Eingriff spezifisch anhaftet und es bei seiner Verwirklichung die Lebensführung des Patienten besonders belastet.

Dass der Beklagte den Kläger ordnungsgemäß aufgeklärt habe, habe der Senat nicht festgestellt. Eine dem Gericht vorgelegte vom Kläger unterzeichnete Einverständniserklärung ließ nicht auf eine ausreichende Risikoaufklärung schließen. Nach dem vorgedruckten Teil der Erklärung sei zwar u.a. auf „die mit dem Eingriff verbundenen unvermeidbaren nachteiligen Folgen, mögliche Risiken und Komplikationsgefahren“ hingewiesen worden. Dieser allgemein gehaltene Hinweis sei jedoch inhaltslos und wirke mit dem Hinweis auf „unvermeidbare nachteilige Folgen“ sogar verharmlosend. Ihr war folglich nicht zu entnehmen, dass die Erklärung vom Patienten gelesen, von ihm verstanden oder mit ihm erörtert worden sei. Grundsätzlich ersetzen Ausgehändigte und vom Patienten unterzeichnete Formulare und Merkblätter nicht das erforderliche Aufklärungsgespräch. Zudem ließen sie nicht erkennen, dass ein Patient über ein in der Erklärung nicht ausdrücklich erwähntes Risiko informiert worden sei. Eine hinreichende Aufklärung des Klägers hat der Beklagte auch mit der Aussage der Arzthelferin nicht beweisen können. Eine mutmaßliche Einwilligung des Klägers sei nicht gegeben. Der Kläger habe nachvollziehbare Gründe dafür vorgetragen, dass er die Koloskopie im Falle einer ordnungsgemäßen Aufklärung zunächst abgelehnt hätte und sich mit einem anderen Arzt oder Verwandten besprochen oder auch eine andere Klinik aufgesucht hätte.

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