Neues Deutschland: zur UNO-Resolution gegen Libyen

Wenn es auch so aussieht, als hätte die
UN-Resolution gegen Libyen zunächst für ein Einhalten im Bürgerkrieg
gesorgt: Diese Hoffnung – wenn sie denn tatsächlich der Intention der
Initiatoren des Beschlusses entspricht – ist trügerisch. Die Schwelle
zum offenen Krieg ist noch niedriger geworden. Ähnlich der
Handgranate, deren Splint gezogen ist, lässt sich die nun
herbeigestimmte Eskalationsstufe im Libyen-Konflikt nur schwer
rückgängig machen. Die NATO kann jetzt, wann immer sie will,
beschließen loszuschlagen. Was Libyens Staatschef Gaddafi, der
einen Tag zuvor noch Kapitulationsultimaten an die Rebellen von
Bengasi stellte, tatsächlich beabsichtigt, ist wenig durchschaubar.
Man hat aber von seiten der NATO auch keinen erkennbaren Versuch
unternommen, es in Erfahrung zu bringen. Das wäre das mindeste
gewesen, wenn es tatsächlich, wie behauptet, in Libyen um die
Abwendung einer »humanitären Katastrophe« ginge. Vermittelnd
eingreifen kann man jetzt noch immer, wenn wirklich Interesse an
einer nachhaltigen Entschärfung der inneren Konflikte besteht. Aber
die Zweifel an diesem Interesse sind größer geworden. Die schon aus
den Fällen Milosevic/Jugoslawien und Saddam/Irak bekannten
Dämonisierungsmuster fanden für Gaddafi und Libyen ihre Wiederholung,
zum Beispiel durch die verantwortungslose Behauptung, in Libyen
müssen einem Völkermord durch einen »irren Diktator« Einhalt geboten
werden. Deutschland hat sich zu dem gewiss weisen Entschluss
durchgerungen, dem Beschluss für ein Kriegsszenario gegen Libyen
seine Zustimmung zu versagen. Klar Nein gesagt hat von den
Bundestagsparteien aber allein die LINKE. Westerwelle versichert,
dass mit der Stimmenthaltung im Sicherheitsrat eine Absage an jede
Präsenz deutscher Truppen in Libyen verbunden ist. Das ist zu
begrüßen. Den Eindruck, dass man die Intentionen beispielsweise
Frankreichs dennoch im Grunde teilt, haben FDP und Union gestern aber
nicht ausräumen können – nicht hinsichtlich strategischer Ziele wie
der Flüchtlingsabwehr und auch nicht, was die Beteiligung am
möglichen Kriegseinsatz betrifft. Denn über AWACS-Angebote auf dem
anderen Kriegsschauplatz Afghanistan zur Entlastung der NATO ist man
auf leisen Sohlen dennoch im Mittelmeer dabei. Dass Merkel und
Westerwelle für ihr Nicht-Ja zur Flugverbotszone in der UNO
ausgerechnet von Rot und Grün gestern im Bundestag angezählt wurden,
verwundert nur insofern, als dass sich mit Gabriel und Trittin zuvor
beide Parteichefs lobend zu Westerwelles Enthaltung geäußert hatten –
wie auch die LINKE. Tatsächlich erlebten in der Parlamentsdebatte
viele Reflexe der rot-grünen Kriegskoalition ihre Auferstehung, mit
denen 1999 die deutsche Bevölkerung für den ersten Kriegseinsatz seit
dem zweiten Weltkrieg reifgeredet werden sollte. Die bizarre
Situation, dass sich Schwarz-Gelb faktisch gegen »Friedensvorwürfe«
ausgerechnet seitens der einstigen Ökopaxe zur Wehr setzen muss, ist
eine bisher kaum erlebte Perversion des Wahlkampfes.

Pressekontakt:
Neues Deutschland
Redaktion / CvD

Telefon: 030/2978-1721