Ungarn hat den Start seiner
EU-Ratspräsidentschaft nicht nur verpatzt. Mehr noch: Mit dem neuen,
höchst umstrittenen und undemokratischen Mediengesetz, das seit 1.
Januar in Ungarn gilt, hat sich der einstige Musterschüler unter den
postkommunistischen EU-Staaten Mittel- und Osteuropas für eine
glaubwürdige Ratspräsidentschaft disqualifiziert. Ungarn kann nicht
mit EU-Aufnahmekandidaten über den Wertekatalog der Europäischen
Union verhandeln, wenn es – wie das zum jetzigen Zeitpunkt der Fall
ist – selbst nicht einmal die Voraussetzungen für die Zugehörigkeit
zur EU mitbringt. Auch, wenn die Magyaren selbst die Entwicklungen in
ihrem Land zum großen Teil weniger dramatisch sehen – die europäische
und internationale Medienwelt hat längst erkannt, welch gravierende
Einschnitte das umstrittene Gesetz in die Pressefreiheit bedeutet.
Sie übt scharfe Kritik an dem Gesetz, das zwangsläufig zu einer
Selbstzensur innerhalb der ungarischen Medienlandschaft führt. Wer
hohe Geldbußen (bis zu 720 000 Euro!) befürchten muss, wird sich
hüten, die Regierung zu kritisieren. Eine freie, kritische Presse
aber gehört zur Demokratie wie das Recht auf freie Wahlen. Nicht
umsonst wird sie als vierte Gewalt bezeichnet, ist ihr oberstes Ziel,
im Interesse der Bürger den Mächtigen auf die Finger zu schauen und
Missstände aufzudecken. Der Regierungsstil des rechtsnationalen
Viktor Orban aber ist von einer totalitären Staatsauffassung geprägt,
die innerhalb der EU nichts zu suchen hat. Ihm und seinem Machttrieb
muss endlich Einhalt geboten werden. Die Europäische Kommission ist
zwar tätig geworden, überprüft das Mediengesetz ob seiner
Vereinbarkeit mit dem europäischen Recht und kann gegebenenfalls ein
Vertragsverletzungsverfahren vor dem Europäischen Gerichtshof in die
Wege leiten. So lange – die Prüfung könnte bis März dauern – darf
Europa aber keinesfalls warten. Geben die europäischen Staatenlenker
jetzt kein klares Statement ab, macht sich die EU als
Wertegemeinschaft unglaubwürdig. Oder es erlangen die gefährlichen
Beschwichtiger die Oberhand: Ein klarer Affront gegen die
demokratischen Grundwerte ist die Appeasementpolitik, die ein Teil
der politischen Klasse an den Tag legt. So ruft der außenpolitische
Sprecher der CSU im Europäischen Parlament, Bernd Posselt, in einer
Presseerklärung dazu auf, die „Verleumdungskampagne gegen Ungarn zu
beenden“. Ungarn sei schließlich eine stabile, klar pro-europäische
Demokratie. Der CDU-Politiker und Europaparlamentarier Werner Langen
springt ihm bei. Er behauptet gar, „die Vorverurteilungen des
Mediengesetzes durch Sozialisten und Kommunisten in Europa“ sei ein
„durchsichtiges und destruktives Spiel, das Europa schadet.“ Nein,
nicht die Kritik an dem ungarischen Mediengesetz, sondern der
Versuch, gravierende Missstände zu vertuschen, schadet Europa.
Glücklicherweise haben die Kritiker noch ein Ass im Ärmel. Viktor
Orban, ganz der Macher, hat sich viel vorgenommen für die
EU-Ratspräsidentschaft, will die Euro-Krise bewältigen, die
Finanzmärkte regulieren, die EU-Haushalte sanieren und für Wachstum
und Beschäftigung sorgen. Nichts davon wird er erreichen, lenkt er
nicht sofort ein. Denn das Europäische Parlament, das
Gesetzesinitiativen des Ratspräsidenten blockieren kann, wird dafür
sorgen, dass nicht nur der Start, sondern die gesamte
Ratspräsidentschaft Ungarns zum Flop wird.
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