Als der große Soziologe Max Weber vor über 100
Jahren das Wort prägte, Politik sei ein starkes langsames Bohren von
harten Brettern mit Leidenschaft und Augenmaß, da konnte er von einer
EU mit 28 Mitgliedsstaaten – bald sind es nur noch 27 – nicht einmal
träumen. Dabei war und ist die europäische Einigung die wichtigste
Antwort auf zwei verheerende Weltkriege, die den alten Kontinent in
Schutt und Asche legten und Millionen Menschen das Leben kosteten.
Die Europäische Union wurde nach dem Ende des Kalten Krieges zum
Anziehungspunkt und Vorbild für viele ehemalige Ostblockstaaten. Doch
das alles ist freilich Geschichte. Die EU steht heute vor ganz
anderen Herausforderungen. Einige Probleme sind hausgemacht und nicht
neu, andere brechen im Zuge von Globalisierung und Digitalisierung,
von Terrorbekämpfung und kriegerischen Konflikten über die Union der
Europäer geradezu herein. Die Noch-nicht-wieder-Kanzlerin Angela
Merkel hat gestern in ihrer Regierungserklärung zwei Sätze
wiederholt, die sie bereits oft gesagt hat. Beide sind dennoch
hochaktuell. Erstens die Welt warte nicht. Weder auf die EU, der es
verdammt schwerfällt sich auf eine einheitliche Linie in vielen
Politikbereichen zu verständigen. Noch auf Deutschland, das sich
verdammt schwer damit tut, eine neue Regierung zu installieren. Dabei
braucht es auch politische Führung aus Deutschland, damit nicht
Egoismus, Populismus und Nationalismus in Europa weiter um sich
greifen. Die Europa-Politik bleibt ein äußerst hartes Brett, auch
wenn sie in der deutschen Öffentlichkeit beinahe zum Randthema
geworden ist. Und zweitens mahnte Merkel zu Recht an, dass es
europäische Antworten auf die Probleme von Gegenwart und Zukunft
brauche. Verantwortungsvolle Politik mit und für die Menschen kann
auf Dauer nicht in nationalen Alleingängen, nicht in Abschottung a la
Amerika first von Donald Trump bestehen. Aber auch diktatorische
Einparteiensysteme a la China oder Russland vermögen auf lange Sicht
nicht, nachhaltige Antworten auf die globalen Probleme zu liefern.
Allerdings muss man auch zugeben, dass die auf Werten, wie den
allgemeinen Menschenrechten, auf Demokratie und Rechtsstaatlichkeit,
fußende EU noch nie so infrage gestellt wurde wie derzeit. Ob sich
das west-europäische Staatsmodell in diesem neuen „Wettbewerb der
Systeme“ behaupten kann, ist keine einfache, sich selbst
beantwortende Frage. Geschichte ist bekanntlich offen. Angela Merkel
hat gestern, zum wiederholten Mal, einen Aufbruch für Europa
verlangt. Dabei wird der alte Kontinent besonders heftig von den
Flüchtlingensströmen herausgefordert, die in die EU kommen, weil
diese Menschen sich hier Schutz vor Krieg, Armut, Hunger und
Verfolgung – kurz ein besseres Leben – erhoffen. Doch schon bei der
Frage, wer nimmt wie viele Kriegsflüchtlinge auf, zerplatzt das
schöne Bild des solidarischen Europa wie eine Seifenblase.
Regierungen in Warschau, Budapest, Bratislava oder Prag und
Kopenhagen wehren sich mit Händen und Füßen gegen festgelegte
Kontingente. Dass Merkel diesen Partnern nun indirekt androhte, dass
ihre Verweigerung Konsequenzen für die Hilfen aus Brüssel haben
müsse, ist richtig. Es bleibt allerdings ein sehr hartes Brett zu
bohren. Und dass sich Europa mehr um die Menschen kümmern müsse, ist
eigentlich eine Binsenweisheit. Dennoch gelten vielen Menschen die EU
und besonders Brüssel als Inbegriffe für grenzenlose Verschwendung
und wuchernde Bürokratie – und das auch noch mit unserem Geld. Die
Kritik an der Super-Behörde EU und dem schwerfälligen EU-Parlament
ist richtig. Aber sie muss konkret dort angebracht werden, wo sie
hingehört. Im allgemeinen Verriss der Europäischen Union geht leicht
unter, wie segensreich diese Gemeinschaft für Deutschland, für alle
Mitgliedsländer ist. Mit dem nächsten „Finanzrahmen“, was furchtbar
technisch klingt, stellen die Regierungschefs jetzt die Weichen für
die nächsten Jahre der bald nur noch 27er Gemeinschaft. In diesem
beinhart geführten Prozess braucht es eine starke Stimme Berlins.
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