Mit großer Sorge registrieren Menschenrechtler die
Entwicklung Kirgistans zum Polizeistaat und erwarten sich von der vor
wenigen Tagen erfolgten Amtsübernahme des neuen Präsidenten Sooronbai
Scheenbekow keine Änderung. In der zentralasiatischen Republik mit
5,5 Millionen Einwohnern dürfte es zwischen Staatsorganen und der
Organisierten Kriminalität manch enge Verbindungen geben.
Das Land bestehe aus einem der korruptesten Systeme in
Zentralasien, erklärten Wahlbeobachter der Organisation für
Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE). Es gelte als das
Armenhaus der Region. Bei der Wahl des bisherigen Regierungschefs
Scheenbekow zum neuen Präsidenten Mitte Oktober dürfte Beobachtern
zufolge keinesfalls alles korrekt zugegangen sein. Schon direkt am
Wahlabend tauchten Gerüchte von massivem Wahlbetrug auf. Heinz
Nägele, OSZE-Wahlbeobachter aus Deutschland, verwies auf manche
„frisierte“ Wahllisten sowie in manchen Wahllokalen auf
100-Prozent-Ergebnisse zugunsten Scheenbekows, wogegen elf weitere
Kandidaten keine einzige Stimme bekommen haben sollen.
Manche Kandidaten wurden rechtzeitig von der politischen Bühne
entfernt, bevor sie antreten konnten, und landeten nach fragwürdigen
Urteilssprüchen im Gefängnis. Der Politiker Omurbek Tekebajew, der
kandidieren hatte wollen, wurde im August dieses Jahres wegen
Korruption zu acht Jahren Haft verurteilt. Der Parlamentarier
Kanatbek Issajew, der den Vorsitzenden der Partei „Republik“, Ömürbek
Babanow, unterstützt hatte, landete Anfang Oktober, nur zwei Wochen
vor der Wahl, im Gefängnis. Dadurch wurden andere Oppositionelle
entsprechend eingeschüchtert.
Nach den Worten der Menschenrechtsaktivistin Dinara Mukanbajewa
hätten sich die Behörden dadurch auf die Wahlen gründlich
vorbereitet. Offenbar musste sichergestellt werden, dass Scheenbekow
an die Spitze des Staates kommt und kein Mitbewerber, sodass der
Vorgänger Atambajew dank des Vertrauten Scheenbekow im Hintergrund
weiterhin Macht ausüben und die Finanzen des Landes kontrollieren
könne.
Medien, deren Mitarbeiter nicht die übliche Selbstzensur üben und
wegen kritischer Berichterstattung auffallen, haben mit
existenziellen Nachteilen zu rechnen. So wurden die Konten der
unabhängigen Medien Azattyk und Zanoza.kg eingefroren, und der
einzige oppositionelle Fernsehkanal „September“ wurde vor kurzem
geschlossen. In manchen Fällen wurden Journalisten wegen
„Beleidigung“ der kirgisischen Nation zu Strafen verurteilt.
Kritische Nachrichtenwebsites werden immer wieder gesperrt. Medien,
die durch eine ausländische NGO finanziell unterstützt werden, müssen
mit Problemen bei ihrer Lizenz rechnen. In der Rangliste von Amnesty
International ist die Pressefreiheit in Kirgisistan auf Platz 89 von
insgesamt 180 Ländern.
In Korrespondentenberichten wird es als „offenes Geheimnis“
angeführt, dass nicht nur Teile der Opposition, sondern auch der
Staatsorgane mit dem organisierten Verbrechen verzahnt seien. Im
Parlament von Bischkek sollen Abgeordnete sitzen, die schlichtweg
Bandenchefs seien. Gefolgsleute des bisherigen Präsidenten Almasbek
Atambajew sollen mit Kamtschy Kolbajew, dem Patriarch der
kirgisischen Mafia, kooperieren. Eine Schlüsselrolle als Kontaktmann
soll dabei der frühere Chauffeur Atambajews innehaben. Der Moskauer
Mittelasien-Experte Viktor Solosubow wird mit der Aussage „Die
politische Elite Kirgisistans degeneriert“ zitiert.
Pressekontakt:
Ludwig Michael,
Berliner Korrespondentenbüro
E-Mail: weiden@rg-rb.de
Tel. +49 30 2639 3328
Original-Content von: Berliner Korrespondentenbüro, übermittelt durch news aktuell