Als Heinz Fromm, Chef des Bundesamtes für
Verfassungsschutz, vor wenigen Tagen zurücktrat, schien der Höhepunkt
der Krise der Sicherheitsdienste in Zusammenhang mit dem
Neonaziterror erreicht. Doch weit gefehlt. Am Montag konnte sich nur
die Augen reiben, wer im Thüringer Untersuchungsausschuss zum braunen
Killertrio NSU hörte, wie es in den 90er-Jahren beim dortigen
Landesamt für Verfassungsschutz drunter und drüber ging. Thüringens
aktueller Verfassungsschutzchef war da schon abgelöst wegen
unzureichender oder schleppender Information zur NSU. Und nun
Sachsen. Dort hatten die Verfassungsschützer bis gestern noch auf
recht hohem Ross gesessen und ernsthafte Fehler bei der Beobachtung
der Neonaziszene von sich gewiesen. Jetzt räumte der Chef auch da
seinen Schreibtisch, weil wichtige Akten zur NSU-Aufklärung
monatelang unbeachtet in einem Schrank schmorten. Sicher ist dem
scheidenden Reinhard Boos deshalb kein persönlicher Vorwurf zu
machen. Doch er übernimmt zu Recht die Verantwortung für das Versagen
eines Mitarbeiters. Und ob es nur einer war, ist nicht sicher. Für
das Ansehen des Verfassungsschutzes in Deutschland ist diese
Entwicklung katastrophal. Der Geheimdienst erlebt einen tiefen Fall
mit massivem Ansehens- und Vertrauensverlust. Und im Sturm der
Entrüstung wirbeln ernsthafte und populistische Forderungen nach
Veränderung der Sicherheitsstruktur wild durcheinander. Nach den
jüngsten Pannen kann es keinen Zweifel mehr daran geben, dass die
interne Kontrolle im Verfassungsschutz deutlich verbessert werden
muss. Dass Akten „vergessen“ oder geschreddert werden, darf sich
nicht wiederholen. Es ist auch gerechtfertigt, über die
föderalistische Struktur des Geheimdienstes und seinen
Informationsaustausch mit dem Bundesamt nachzudenken. Dass vom
Bundesinnenministerium schon im vorigen Dezember ein gemeinsames
Abwehrzentrum gegen Rechtsextremismus eingerichtet wurde, zeigt den
Handlungsbedarf. Populistische Trittbrettfahrereien einer solchen
Krise sind jedoch die pauschalen Forderungen nach Abschaffung des
Verfassungsschutzes. Dass jetzt gerade die Piratenpartei in
Brandenburg danach ruft, geht besonders an der Realität vorbei. Denn
Brandenburgs Verfassungsschutz hat mit seiner Aufklärungsarbeit
spürbar zur erfolgreichen Bekämpfung des Rechtsextremismus im Lande
beigetragen. Die notwendige Neustrukturierung der Sicherheitsdienste
wird einige Zeit in Anspruch nehmen. Noch länger wird es dauern,
verlorenes Vertrauen zurückzugewinnen, in Sachsen, in Thüringen,
überall.
Pressekontakt:
Lausitzer Rundschau
Telefon: 0355/481232
Fax: 0355/481275
politik@lr-online.de
Weitere Informationen unter:
http://