Lausitzer Rundschau: Merkels Zeugnis Bei Karlsruhes Euro-Entscheidung steht viel auf dem Spiel

Das ist weiß Gott keine Gewinner-Situation für das
Bundesverfassungsgericht. Der Druck auf die Richter ist immens. Von
denen, die mit verheerenden Folgen für den Euro und Europa insgesamt
rechnen, sollte Karlsruhe die Ratifizierung von ESM und Fiskalpakt
stoppen. Und von denen, die genau das fordern, weil sie die Rechte
des Bundestags beschnitten sehen und nicht wollen, dass der deutsche
Steuerzahler für die Schulden anderer Länder haftet. Zwischen diesen
beiden extremen Positionen muss Karlsruhe jetzt agieren. Ein
salomonisches Urteil kann es da nicht geben. Das Gericht wird in der
Sache mit aufgeschlagenem Grundgesetz abwägen und nicht danach,
welche Entscheidung ihm selbst oder anderen am meisten schaden
könnte. In Karlsruhe sitzen unabhängige, kluge Geister, die mit
politischem Sperrfeuer umzugehen wissen. Das hat Gerichtspräsident
Voßkuhle gestern allen Beteiligten auch unverblümt zu verstehen
gegeben – was politisch opportun ist, interessiert die Richter nicht.
Gut so. Sich daran zu orientieren, ist auch nicht ihre Aufgabe. Das
ist zugleich eine angemessene Watsche für die Kritiker aus der FDP
gewesen, die dem Gericht schon vorab Unkenntnis über Europa und
fehlende Urteilsfähigkeit unterstellt haben. Wer so daher schwätzt,
offenbart ein merkwürdiges Verständnis vom Sinn dieser Institution im
demokratischen Gefüge. Und er sollte zunächst ganz simpel bei sich
selbst beginnen – die wenigsten Parlamentarier haben schließlich
verstanden, was sie da vor knapp zwei Wochen im Bundestag an
Weitreichendem für die nicht enden wollende Eurorettung auf den Weg
gebracht haben. Sie haben im Vertrauen auf die Regierung entschieden.
Ob dieses Vertrauen gerechtfertig gewesen ist, wird Karlsruhe nun zu
prüfen haben. Das Verfassungsgericht hat in der Vergangenheit immer
rigoros darauf geachtet, dass bei der Rettung der gemeinsamen Währung
die Beteiligungsrechte des Bundestages nicht unter die Räder kommen.
Schon gar nicht das Königsrecht des Parlaments, das Budgetrecht. Für
Angela Merkel und ihre Regierung hat es deshalb ein ums andere Mal
eine höchstrichterliche Klatsche gegeben. Die Kanzlerin wird auch
diesmal bibbernd nach Karlsruhe schauen, obwohl sie sich mit
Zweidrittel-Mehrheiten zu ESM und Fiskalpakt im Bundestag und im
Bundesrat gut abgesichert glaubt. Ungeachtet dessen entscheiden die
Richter nämlich auch über ihren Kurs in der Schuldenkrise. Das
Gericht wird Merkel ein weiteres, wenn nicht sogar das bisher
wichtigste Zeugnis in dieser Krise ausstellen: Hat sie zusammen mit
ihrem Finanzminister bei der Bewältigung des Eurodramas die Grenzen
der Verfassung nur ausgereizt – oder haben beide sie schon
überschritten? Darum geht es für Merkel und Schäuble. Viel steht auf
dem Spiel.

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