Lausitzer Rundschau: Erfolg und doch Sprengsatz Zum Kosovo-Gutachten des Internationalen Gerichtshofes

Überraschend deutlich ist das Urteil der höchsten
Instanz des Völkerrechts ausgefallen. Die einstige Provinz Kosovo
kann sich von Serbien trennen und eigene Wege gehen. Mit einem solch
klaren Spruch hatte kaum jemand gerechnet, schon gar nicht die
Regierung in Belgrad, die den internationalen Gerichtshof in den Haag
angerufen hatte. Die Verlesung der Stellungnahme der 15 Richter
begann gestern am späten Nachmittag, und so manches Detail der
Begründung wird Rechtsexperten noch viele Wochen beschäftigen. Was
sie im Einzelnen für die unterschiedlichen Weltregionen bedeutet,
lässt sich derzeit nur ansatzweise erkennen. Aber sie ist in jedem
Fall ein wichtiger Sieg für all die ethnischen Minderheiten, die sich
in ihren Staaten nicht beheimatet fühlen. Es war einer der Grundsätze
internationalen Rechts spätestens seit dem zweiten Weltkrieg, dass
Grenzen nicht einseitig verändert werden können. Tatsächlich war die
Abspaltung des Kosovo eine aus gutem Grund umstrittene Sache. Denn
das Gebiet ist bis heute nicht aus eigener Kraft lebensfähig. Die von
außen mitgetragene Unabhängigkeit des Kosovo ist deswegen auch in
erster Linie ein Versuch gewesen, die Situation auf dem Balkan weiter
zu befrieden. Und dies wird durch den Richterspruch sicher weiter
erleichtert. Serbien wird sich damit abfinden und seinen Weg in die
europäische Gemeinschaft suchen. Für Europa ist das Urteil aus Den
Haag ansonsten von eher nachgeordneter Bedeutung. Sicher gibt es noch
zahlreiche Konfliktzonen, aber die EU als supranationales Dach, das
die Regionen stärkt und ihre Autonomiebestrebungen in vielerlei
Hinsicht stützt, wird entscheidend dazu beitragen können, die
regionalen Auseinandersetzungen in einem erträglichen Rahmen zu
halten. Katalonien, auch das Baskenland werden sich durch die
Entscheidung zwar darin bestärkt sehen, gegen Madrid Front zu
beziehen. Aber spätestens seit dem Inkrafttreten des
Lissabon-Vertrags wird die Debatte darüber zunehmend in die
europäischen Institutionen verlagert werden. Wesentlich größere
Bedeutung hat der Spruch für andere Kontinente. Er ist zwar zunächst
kein Präzedenzfall, weil er auch ausdrücklich damit begründet wurde,
dass die Unabhängigkeit des Kosovo erst das Ende eines gescheiterten
Schlichtungsversuches unter Beteiligung der UN war. Aber er setzt ein
deutliches Signal beispielsweise in Richtung China, das ja eine
Politik der Eingliederung eroberter Gebiete verfolgt. Die Debatte um
solch einen Umgang mit nationalen Minderheiten wird an Schärfe
gewinnen. So gesehen stellt der von der westlichen Diplomatie
erhoffte Erfolg auch einen Sprengsatz dar, den zu entschärfen nicht
einfach sein wird.

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