Lausitzer Rundschau: Der Wähler und der Schwarm Zum jüngsten Erfolg der Piratenpartei und den Folgen

„Schwarmintelligenz“ – das Wort verspricht erst
einmal Positives, aus vielen guten Entscheidungen einzelner wird die
Klugheit aller. Das ist das politische Prinzip der Piraten. Und wer
nach der Berlin-Wahl geglaubt hatte, die Partei sei lediglich ein
Sammelbecken für großstädtische oder gestörte Internet-Freaks, also
eine Partei mit begrenzter Halbwertzeit, wird nach der Saarland-Wahl
wohl eingestehen müssen: Die Piraten haben den Status eines Phänomens
jetzt hinter sich gelassen. Ihre Stärke liegt in der Schwäche der
etablierten Parteien. Sie bieten augenscheinlich das, was den anderen
in den letzten Jahrzehnten der deutschen Parteiendemokratie abhanden
gekommen ist: Die Piraten sind noch ungeschliffen, sie zwingen
niemanden dazu, sich festzulegen. Sie greifen damit einen weit
verbreiteten, gesellschaftlichen Trend auf. Punktuell mitzumachen,
jedoch möglichst frei von Zwängen zu sein, Positionen zu variieren,
oder aber erst gar keine zu haben, ist en vogue. Peinlich ist es
deshalb, wenn FDP-Mann Döring das Politikbild der Piraten als
„Tyrannei der Massen“ geißelt. Und naiv ist es, wie Union, SPD,
Grüne, Linke und FDP nun darüber sinnieren, warum die Piraten so viel
Zulauf haben. Alle schleifen deshalb ihre Konzepte zur Netzpolitik,
twittern wie wild oder setzen online neue Akzente. Transparenz heißt
neuerdings, Parteitagsanträge ins Netz zu stellen. Als ob das reichen
würde. Der Muff der letzten Jahre lässt sich jedoch nicht per
Mausklick in den Papierkorb befördern. Für viele Menschen sind
Ochsentour und Ämtergeschacher fernab des modernen Polit-Zeitgeists.
Sie haben den Eindruck, den Parteien geht es nur noch um sich selbst.
Das stimmt nicht immer. Wenn aber die Etablierten sich und den
Bürgern nicht mehr Freiheit verordnen, um die Lust am Mitmachen zu
wecken, müssen sie sich nicht wundern, wenn die Piraten ein
Bundesland nach dem anderen entern. Doch es gibt noch Hoffnung für
die Alt-Parteien. Die Piraten geraten nach jedem Wahlsieg in einen
klassischen Selbstfindungsprozess, der leicht in Selbstzerfleischung
abdriftet. So hat in Berlin bereits nach wenigen Monaten eine
Entzauberung durch Flügelkämpfe und Querelen begonnen. Sind die
Piraten im System angekommen, verlieren sie ihre Unbedarftheit. Dann
stößt die „Schwarmintelligenz“ deutlich an ihre Grenzen. Dann werden
auch die Fragen nach Konzepten zu Themen jenseits der Netzpolitik
umso brennender gestellt. Und dann müssen auch Entscheidungen
getroffen werden, mit denen der Schwarm einen Teil seiner Wähler
enttäuschen wird. Doch das wird wohl noch dauern.

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