Bundesweit kassieren Landtagsabgeordnete Millionen
Euro Steuergeld durch verdeckte Zulagen zusätzlich zu ihren Diäten.
Das geht aus einer Umfrage des ARD-Politikmagazins „Report Mainz“
unter allen 63 Landtagsfraktionen der Flächenländer hervor. Danach
geben die Fraktionen jährlich rund 4,5 Mio. Euro für Zulagen an
Funktionsträger wie Parlamentarische Geschäftsführer,
Stellvertretende Fraktionsvorsitzende und Arbeitskreisleiter aus. Das
Bundesverfassungsgericht hatte diese Zulagen in einem Urteil vom 21.
Juli 2000 (Az. 2 BvH 3/91) für verfassungswidrig erklärt, weil sie
„gegen die Freiheit des Mandats und den Grundsatz der
Gleichbehandlung der Abgeordneten“ verstoßen.
Der Präsident des Landesrechnungshofs Sachsen-Anhalt und
Vorsitzende der Konferenz der Präsidentinnen und Präsidenten der
Rechnungshöfe des Bundes und der Länder, Ralf Seibicke, kritisiert
die Zulagenpraxis scharf. Im Interview mit „Report Mainz“ sagte er in
Bezug auf den Landtag in Sachsen-Anhalt: „Wir haben festgestellt,
dass über die Hälfte der Abgeordneten Zulagen erhalten. Da kommt man
ganz klar zu dem Ergebnis, dass das nicht mehr den Intentionen des
Bundesverfassungsgerichts gerecht wird.“
Die Landtagsfraktionen veröffentlichen nicht, in welcher Höhe sie
Zulagen an einzelne Funktionsträger zahlen. Viele Fraktionen geben
diese Zahlen selbst auf Anfrage nicht bekannt. Der Präsident des
Bayerischen Obersten Rechnungs-hofs, Dr. Heinz Fischer-Heidlberger,
kritisierte im Interview mit „Report Mainz“, dass die Fraktionen des
Bayerischen Landtages die Höhe der einzelnen Zulagen der
Öffentlichkeit nicht preisgeben: „Ich halte es für ein Gebot der
Transparenz, dass man ganz offen mit diesen Zahlen umgeht.“ Es sei
unverständlich, warum die Fraktionen „daraus eine Geheimhaltung
machen“, schließlich handle es sich um „Gelder des Steuerzahlers“.
Verfassungsrechtler Prof. Hans Herbert von Arnim wirft den Fraktionen
vor, sich seit nunmehr zehn Jahren über die Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichts hinwegzusetzen. Wörtlich sagte er in
„Report Mainz“: „Es geht um viele Millionen, die verfassungswidrig
verausgabt werden. Das ist ein krasser Verfassungsbruch in den
höchsten deutschen Staatsorganen, den Parlamenten – das ist ein
Skandal.“
Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts bezog sich zwar auf
Thüringen, ist aber nach Ansicht von Verfassungsrechtlern und
Rechnungshöfen auch für andere Vollzeitparlamente bindend. Das
bestätigen übereinstimmend ein Gutachten von Bundesverfassungsrichter
a. D. Prof. Paul Kirchhof und der Bericht einer Kommission unter
Vorsitz von Bundesverfassungsgerichtspräsident a. D. Prof. Ernst
Benda, beide aus dem Jahr 2001. Auch die Landesrechnungshöfe von
Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen und Sachsen-Anhalt haben die
Zulagenpraxis in mehreren Stellungnahmen und Berichten kritisiert,
dennoch haben sich die Länderparlamente darüber bislang
hinweggesetzt.
Auf die Umfrage von „Report Mainz“ unter den 63 Landtagsfraktionen
der Flä-chenländer antworteten 35 Fraktionen mit konkreten Angaben,
welche Funktionsträger welche Zulagen erhalten. 28 Fraktionen
verweigerten konkrete Auskünfte. Aus den Rechenschaftsberichten der
Fraktionen gehen aber in der Regel die Jahressummen hervor, die
Fraktionen für Funktionsträger ausgeben. Auf Grundlage der Antworten
der Fraktionen sowie der Rechenschaftsberichte ergibt sich eine Summe
von 4,5 Mio. Euro jährlich, die für Funktionsträger in den
Flächenländern entgegen dem Verfassungsgerichtsurteil ausgegeben
werden. In dieser Summe sind die verfassungskonformen Zulagen für
Fraktionsvorsitzende nicht enthalten.
Die Höhe der jeweiligen Zulagen ist von Land zu Land und von
Fraktion zu Fraktion unterschiedlich. So erhält ein
Arbeitskreisvorsitzender der CSU in Bayern 2.000 Euro pro Monat
zusätzlich, ein Arbeitskreisleiter der Linken in Sachsen-Anhalt 500
Euro. Ein stellvertretender Fraktionsvorsitzender der SPD in Bayern
erhält 1.900 Euro, ein Fraktionsvize der CDU Niedersachsen rund 3.000
Euro. Die Länder mit den höchsten jährlichen Ausgaben für diese
Zulagen sind Bayern: 940.000 Euro, NRW: 880.000 Euro, Niedersachsen:
570.000 Euro, Baden-Württemberg: 510.000 Euro, Rheinland-Pfalz:
450.000 Euro, Sachsen-Anhalt: 310.000 Euro. In diesen Ländern wird
ein besonders großer Personenkreis mit Zulagen bedacht, wie
beispielsweise in Bayern bei der CSU: u. a. vier stellvertretende
Fraktionsvorsitzende, zwölf Arbeitskreisleiter, SPD: u. a. drei
stellvertretende Fraktionsvorsitzende, zwölf Arbeitskreisleiter.
Viele Fraktionen rechtfertigen die Ausgaben mit dem Recht zur
Selbstorganisation. Sie verweisen darauf, dass die Zulagen aus den
Budgets der einzelnen Fraktionen und nicht aus den Landtagsetats
gezahlt werden. Diese Fraktions-budgets speisen sich aus Steuergeld
und werden von den jeweiligen Landtagen festgelegt. Das
Bundesverfassungsgericht sah es in seinem Urteil nicht als maßgeblich
an, aus welchem Etat die Fraktionszulagen an die Abgeordneten
ausgezahlt werden, sondern entschied, dass generell durch eine
Vielzahl von Zulagen die Freiheit von Abgeordneten durch
Einkommenshierarchien und dadurch entstehende Abhängigkeiten
gefährdet ist.
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an „Report Mainz“, Tel.: 06131/929-3351.