Inklusion als fortwährende Entwicklungsaufgabe: Gemeinsame Erklärung der waldorfpädagogischen Verbände

Inklusion als fortwährende Entwicklungsaufgabe: Gemeinsame Erklärung der waldorfpädagogischen Verbände
Gelebte Inklusion an einer integrativ arbeitenden Waldorfschule
 

Die Vereinigung der Waldorfkindergärten, der Verband für anthroposophische
Heilpädagogik, Sozialtherapie und soziale Arbeit und der Bund der Freien
Waldorfschulen (BdFWS) bekräftigen in der gemeinsamen Erklärung
„Grundlegende Gesichtspunkte zur Verwirklichung von Inklusion im
Bildungswesen“ ihren Standpunkt. Die drei Verbände bezeichnen die
Verwirklichung des Inklusionsgedankens als „fortwährende Entwicklungsaufgabe“ und betonen den positiv gesellschaftsverändernden Charakter von inklusiv arbeitenden Kinderkrippen, Kindergärten und Schulen.

Die Erklärung verweist auch auf die langjährige Erfahrung der Waldorfpädagogik im Umgang mit heterogen zusammengesetzten Kinder- und Schülergruppen. „Die Förderung sehr unterschiedlich begabter Kinder ist ein konstituierendes Element der auf Anthroposophie gegründeten Pädagogik, die den Einzelnen in den Mittelpunkt der Gemeinschaft stellt. Mehr noch als früher kennzeichnet Individualisierung heute Kindheit und Jugend. Deshalb müssen in Kindergärten und Schulen individuelle Lernorte für verschiedene Lebens- und Lernwege eingerichtet werden“, so Birgitt Beckers, Vorstandsmitglied des BdFWS und Waldorfklassenlehrerin.

Lernen finde nicht nur in der Auseinandersetzung mit einem Lerngegenstand
statt, sondern gleichermaßen bei der Interaktion der Schülerinnen und Schüler.
Gerade hier würden grundlegende Qualitäten wie die Achtung des Anderen,
Initiative und Verlässlichkeit, Teamfähigkeit und Verantwortung veranlagt“, so
Beckers weiter. „Es gilt, die Möglichkeiten des wechselseitigen Lernens in der
Gemeinschaft schon vom Kindergarten an auszuschöpfen“.

Inklusion bedeutet im Verständnis der drei Verbände nicht notwendig ein
durchgehendes Zusammensein. Das Wort stehe vielmehr für Nähe und
praktizierte Lebensgemeinsamkeit, so heißt es in der Erklärung. Das beinhalte
auch die Möglichkeit zum Rückzug, zur Distanz und zur Differenzierung, wenn
dies den individuellen Bedürfnissen entspreche.

Die UN-Behindertenrechtskonvention vertieft nach Auffassung der drei Verbände das Verständnis der Menschenrechte, weil sie Menschenwürde und Inklusion als objektive Grundwerte anerkennt und deshalb fordert, dass Menschenwürde, Selbstwert und Teilhabe von Menschen mit besonderem Assistenzbedarf auch subjektiv erlebt werden können. Grundlegend sei für alle Kinder und Jugendlichen „die Basiserfahrung der Beheimatung“.

In der gemeinsamen Erklärung wird auch die Bedeutung der Inklusionsidee für
die Erzieher- und Lehrerbildung hervorgehoben. Dies bezieht sich auf alle
Bereiche der Aus-, Fort- und Weiterbildung. Die Einrichtungen des Erziehungs- und Bildungswesens müssten selbst zu lernenden und sich entwickelnden Organisationen werden, betonen die Verbände.

Der „Arbeitskreis Inklusion“, der die Erklärung vorgelegt hat, wurde 2011
gegründet, um die Erfahrungen der drei Verbände zu bündeln und die
Umsetzung der Inklusion an Waldorfeinrichtungen voranzutreiben. Bereits im
März 2012 versammelten sich über 600 Eltern, SchülerInnen, HeilpädagogInnen, ErzieherInnen und LehrerInnen in Kassel zu einem ersten „Thementag Inklusion“, um ihre Erfahrungen auszutauschen und neue Anregungen mitzunehmen. Für den im September in der Waldorfschule Berlin-Kreuzberg stattfindenden Kongress zur Inklusion konnte der Behindertenbeauftragte der Bundesregierung, Hubert Hüppe, als Schirmherr gewonnen werden.

Weitere Informationen unter:
http://www.waldorfschule.de