Der Mainzer Historiker Andreas Rödder sieht
angesichts der erneut ausbrechenden Konflikte in der
Flüchtlingspolitik die politische Stabilität in Deutschland bedroht.
„Unser Land ist aus der Balance geraten. Das ist für die Stabilität
unseres Systems sehr gefährlich“, sagte Rödder in einem Interview mit
dem Hamburger Magazin stern. Zu beobachten sei eine „regelrechte
Erosion der politischen Mitte“. Das Ende der Weimarer Republik zeige,
„wie schnell politische Ordnungen ins Rutschen geraten können“, warnt
der Geschichtswissenschaftler. „Nach 70 Jahren Bundesrepublik halten
wir eine moderate Kultur der politischen Mitte für
selbstverständlich. Aber das ist sie nicht.“
Rödder, der in Mainz Neueste Geschichte lehrt, sieht – nicht
zuletzt durch den Mordfall Susanna F., bei dem ein Flüchtling aus dem
Irak als mutmaßlicher Täter in Untersuchungshaft sitzt – einen
„massiven Vertrauensverlust gegenüber dem Rechtsstaat“. Hierzu hätten
auch der von einem Flüchtling verübte Mord an einer Studentin in
Freiburg und der Tod einer Schülerin in Kandel beigetragen, für den
sich ein mutmaßlich aus Afghanistan stammender Mann in der kommenden
Woche vor Gericht verantworten muss sowie das Attentat auf dem
Weihnachtsmarkt am Berliner Breitscheidplatz durch den ebenfalls als
Flüchtling nach Deutschland gekommenen islamistischen Terroristen
Anis Amri. „Das Problem ist: Je mehr Einzelfälle passieren, desto
weniger lässt sich sagen, es handele sich nur um Einzelfälle“, so
Rödder.
Der Wissenschaftler, der sich sowohl mit der jüngsten
Zeitgeschichte seit 1990 als auch mit der Internationalen Geschichte
des 19. und 20. Jahrhunderts beschäftigt, ist der Meinung, dass die
Flüchtlingskrise des Jahres 2015 bis heute von Gesellschaft und
Politik nicht richtig verarbeitet wurde. „Deutschland ist noch lange
nicht fertig mit dem, was im Herbst 2015 passiert ist.“
Für viele Deutsche seien die Ereignisse von damals eine
traumatische Erfahrung gewesen. „Über Monate wurden kritische Stimmen
diskreditiert. Das Gericht der moralischen Aburteilung ging los,
bevor der –Beschuldigte– überhaupt Gehör fand. Es entstand der
Eindruck, die Grundachsen des Landes sollten verschoben werden, ohne
dass darüber ein Diskurs erlaubt sein sollte.“ Seitdem herrsche auf
der politischen Linken wie auf der Rechten eine „Kultur der
Unbedingtheit“. „Sie breitet sich immer weiter aus und vergiftet das
politische Klima in Deutschland.“ Die Mitte verharre dagegen „in
weitgehender Sprachlosigkeit“. Rödder auf die Frage, was die
etablierten Parteien der Mitte tun sollten: „Offensiv ihre Positionen
erklären. Und dafür werben. Und nicht –Alternativlosigkeiten–
dekretieren. Oder mit moralischer Empörung andere ausgrenzen.“
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