Ein Kommentar von Christoph Rind
Es ist in einer Demokratie angemessen zu streiten, ob ausgerechnet
der Papst am Rednerpult des Deutschen Bundestages richtig aufgestellt
ist. Und ob er dort als Repräsentant der katholischen Weltkirche
auftreten soll, als Staatsoberhaupt des Vatikans oder nur, weil er
der erste deutsche Papst seit 1523 ist und wohl keiner der
Parlamentarier eine ähnliche historische Chance noch mal erleben
wird. Die Debatte darüber ist spannend und sie ist richtig. Aber sie
ist völlig unangemessen in diesen Tagen, wenige Stunden vor dem
viertägigen Deutschlandbesuch von Benedikt XVI. Mehr noch: Die Kritik
am Papstauftritt ist peinlich. So peinlich wie das kurze Gedächtnis
der rund 100 Parlamentarier aus SPD, Grünen und Linken, die nicht mal
die Geduld aufbringen wollen, sich anzuhören, was ihnen der Papst in
30 Minuten zu sagen hat. Schließlich steht der Kirchenmann dort nicht
aus eigener Gnade. Die Abgeordneten selbst haben ihn gebeten. Im Mai
haben Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) und Vizepräsidentin
Katrin Göring-Eckardt (Grüne) in Rom den vor sechs Jahren von den
Kardinälen gewählten Papst zu ebendieser Rede eingeladen, „mit
Zustimmung aller Fraktionen“, wie es da noch hieß. Im Nachhinein eine
Rolle rückwärts zu machen sagt manches aus über das Haltbarkeitsdatum
der Meinung von Politikern, die ihre Entscheidungen sonst gern mit
dem Siegel „nachhaltig“ anpreisen. Zu kurz gedacht ist es auch, die
notwendige Trennung von Staat und Kirche zu zitieren, um den Papst
als Redner im Parlament abzulehnen. Neutralität im demokratischen
Staat heißt nicht, gegen Glaube und Religion aufzutreten, sondern den
Gläubigen Freiraum zu bieten. Die Bundestags-Vizepräsidentin ist
zugleich Präses der Synode der Evangelischen Kirche und im
Reichstagsgebäude in Berlin gibt es einen Andachtsraum, ohne dass wir
gleich fürchten, in einem Kirchenstaat zu leben. Alle Fraktionen
haben reli?gionspolitische Sprecher. Im Übrigen haben auch andere
Staatsgäste, die im Bundestag reden durften, gemischte Gefühle
ausgelöst, von Wladimir Putin bis George Bush. Wer aus seiner
Papstkritik gleich ein Dogma macht, ist vielleicht nur ein
Ewiggestriger.
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