HAMBURGER ABENDBLATT: Inlandspresse, Hamburger Abendblatt zum Papstbesuch

Ein Kommentar von Matthias Iken

Der Papst besucht sein Heimatland – das klingt nach Heimkehr, nach
Freude, nach einem Fest. Doch nach den Begleiterscheinungen der
vergangenen Tage entsteht eher der Eindruck, in Berlin träfen in den
kommenden Tagen zwei Welten aufeinander. Die Rede des Papstes im
Bundestag droht zu einem Tiefpunkt der parlamentarischen Geschichte
zu werden. Die Hälfte der Linken-Frak?tion, deren Parteispitze erst
vor Kurzem überschwängliche Geburtstagsglückwünsche an den
kubanischen Despoten Fidel Castro verschickt hat, will den Besuch des
vatikanischen Staatsoberhaupts gleich ganz boykottieren. Auch viele
Sozialdemokraten und Grüne halten den Gast offenbar für eine Persona
non grata und wollen seiner Rede im Bundestag fernbleiben. Auf der
anderen Seite erfüllt der deutsche Papst bei seinem Besuch in der
Hauptstadt mehr seine Pflicht als einen lang gehegten Wunsch: Ihm ist
die Stadt Berlin, aber auch das säkularisierte Deutschland fremd
geworden. Und wenn er auf eine geschiedene Kanzlerin trifft, einen
homosexuellen Außenminister, einen homosexuellen Bürgermeister und
einen geschiedenen und wiederverheirateten Bundespräsidenten, erlebt
er eine deutsche Wirklichkeit, die so ganz anders als ist die von
Vatikan und Katechismus gelehrte. Die Berliner Gastgeber des Papstes
repräsentieren überdeutlich ein Volk, das sich in den vergangenen
Jahrzehnten von alten Glaubensgrundsätzen gelöst hat. Sie alle sind
christlich geprägt – Angela Merkel als protestantische
Pfarrerstochter, Westerwelle als evangelischer Christ, Wowereit sowie
Wulff aus römisch-katholischen Elternhäusern -, sie alle aber leben
ihr Leben so frei, wie es eine moderne Gesellschaft ermöglicht. Gott
sei dank ermöglicht. Kirche und Gesellschaft sind sich in den
vergangenen Jahren fremder denn je geworden. Einer Umfrage des
„Stern“ zufolge lässt mehr als 80 Prozent der Deutschen der Besuch
des Stellvertreter Christi auf Erden kalt. Hier beginnt das Problem:
Dieses Desinteresse ist nicht modern, es ist armselig. Es zeigt auch,
dass die Gesellschaft zusehends ihre Wurzeln verleugnet, ja verliert.
Unsere gesamte Kultur ist christlich grundiert; unsere Geschichte ist
dadurch geprägt; auch unser Grundgesetz beruft sich im ersten Satz
der Präambel auf die „Verantwortung vor Gott“. Da darf und muss man
in einem aufgeklärten Land mehr Auseinandersetzung mit Glaube und
Kirche verlangen – es geht nicht um ein Ja und Amen, es geht um ein
„Ja, aber“. Doch diese offene Debatte findet leider kaum statt –
neben Desinteresse schlägt gerade der katholischen Kirche in Medien
und Meinungen längst eine unangemessene Verachtung entgegen. Die
Institution wird auf ihre Sexualmoral, den Zölibat oder die
unsäglichen Missbrauchsfälle reduziert. In seiner Ablehnung kann sich
noch jeder Kritiker der Kirche in seinem vormodernen Furor als
moderner Zeitgeistler feiern lassen. Was die Kirche hingegen an
Klugem und Diskussionswürdigem zu militärischen Einsätzen in aller
Welt, der Allmacht der Märkte oder einem um sich greifenden
Relativismus sagt, wird überhört. Was sie in der Seelsorge, in
Krankenhäusern, Schulen und Kindergärten fürs Allgemeinwohl leistet,
übersehen. Was sie predigt, übergangen. Es drängt sich der Eindruck
auf, abseits von Weihnachten hat sich unsere Gesellschaft für ein
säkulares Leben entschieden – aus Bequemlichkeit und Desinteresse,
nicht aus Überzeugung. Hier liegt die Chance des Papstbesuchs: Er
kann alte Lehren neu ins Bewusstsein rufen, der Moral eine Bühne
bereiten, Alternativen zum Anything goes aufzeigen. Man kann und wird
mit dem Papst streiten müssen, aber zunächst muss man ihm zuhören.
Sein Besuch wird zeigen, wie weit Deutschland gekommen ist.

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