Ein Kommentar von Karl Günther Barth
Wer heute, zehn Jahre nach den Terroranschlägen auf das World
Trade Center in New York und das Pentagon in Washington, die Bilder
von damals sieht, ist immer wieder erschüttert. Und noch immer ist
nahezu unvorstellbar, mit welcher Heimtücke die Massenmorde von ihren
Anstiftern geplant waren. Und mit welcher Brutalität die Täter
handelten, die vorher mitten unter uns in Hamburg gelebt und studiert
hatten. Wir waren voller Trauer und Zorn – und sind es heute,
angesichts der Bilder von damals, wieder. Es waren Anschläge auf
unsere Freiheit – und sie haben die Welt erschüttert. Aber haben die
Attentate auch uns verändert, die Welt verändert? Osama bin Ladens
Leiche ruht auf dem Meeresgrund, als Revolutionär hat er seine Ziele
nicht erreicht. In Afghanistan, dem Land, das zu einem Gottesstaat
nach archaischem Muster werden sollte, gehen heute Mädchen zur Schule
und junge Frauen zur Universität. Das ist das Gegenteil jenes
mittelalterlichen Kalifats, das die Taliban vor ihrem Sturz durch die
westliche Allianz bereits teilweise errichtet hatten. Verlierer ist
auch der Islam, den Osama bin Laden durch seine angeblich so
revolutionären Taten zu einen versuchte. Der demokratische Frühling,
der bereits Diktatoren und Autokraten in Nordafrika hinweg fegte,
orientiert sich eher an unseren Freiheitswerten, als an Osamas
islamistischen Visionen. Mehr Bikini als Bhurka. Bin Ladens Versuch,
den Islam zur Rechtfertigung seiner Mordtaten zu benutzen, hat die
Religion Mohammeds nicht nur in den Augen der westlichen Welt zum
Gefangenen von Ideologien gemacht – und im Westen zusätzlich eine
Islam-Furcht ausgelöst, die, wenn man so will, unter anderem den
Nährboden für rechtsgerichtete Populisten bereitet. Und dabei denken
wir weniger an den dumpfen Rassismus von deutschen Neonazis als
vielmehr an das eher feinere Gift in den Ideen, wie sie zum Beispiel
der Holländer Gert Wilders verbreitet und das sich bis in die Hirne
bürgerlicher Kreise hinein frisst. Islamfurcht war sicherlich auch
eine der Triebfedern des Norwegers Anders Breivik, der erst vor
wenigen Wochen 76 vorwiegend junge Menschen hinmetzelte. Und
letztlich verdanken wir in Teilen wohl auch dieser unsinnigen
Islam-Phobie den Erfolg des Hobby-Genetikers Thilo Sarrazin.
Verlierer sind auch die USA. War der Krieg in Afghanistan, wo
schließlich Osama bin Laden mit Unterstützung des Taliban-Regimes in
Kabul sein weltweites Terrornetz spann, noch zu rechfertigen, baute
der Angriff auf den Irak auf Rache und ein Lügengespinst der
Geheimdienste. Er kostete über 100?000 Menschen das Leben und vor
allem die USA Billionen Dollar. Kriege auf Pump, die die Vereinigten
Staaten fast ruiniert haben. Das Ergebnis: eine siechende Wirtschaft,
wie wir sie gerade in diesen Tagen besichtigen können. In seinen
Kriegen hat Amerika viel Kraft verpulvert, die das Land jetzt gut
gebrauchen könnte, um die Herausforderung durch die mächtig gewordene
Wirtschaftskraft Chinas bestehen zu können. Die Vereinigten Staaten
sind aber nicht nur wirtschaftlich ins Hintertreffen geraten, sondern
haben auch weltweit moralisch an Kredit verloren – zum Beispiel durch
die Foltervorwürfe in den Gefängnissen von Abu Ghraib und Guantánamo.
Verlierer sind aber auch wir alle. Die Terroranschläge haben gezeigt,
wie verwundbar unsere offene Gesellschaft ist. Wir haben Gesetze
geändert, Richtlinien verschärft. Wer heute in einem Flugzeug
verreist, muss sich Kontrollen gefallen lassen, die teilweise an die
des früheren Ostblocks erinnern. Was damals dem Erhalt von Diktaturen
diente, ist heute der Preis der Freiheit. Wir verteidigen damit
unsere Werte und unsere Lebensweise. Aber das sollte uns die erhöhte
Wachsamkeit wert sein.
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