Ein Kommentar von Thomas Frankenfeld
„Geronimo“ ist tot, die USA feiern. Es mag allerdings ein
Geheimnis des US-Militärs bleiben, warum der operative Codename für
den Massenmörder Osama Bin Laden ausgerechnet von einem
Apachenhäuptling entliehen wurde, der sich verzweifelt gegen jene
Weißen wehrte, die sein Land geraubt und seine gesamte Familie
niedergemetzelt hatten. Der Triumph ist den USA von Herzen zu gönnen.
Angesichts der Tausenden Opfer des erbarmungslosen Al-Qaida-Führers
und der zwielichtigen Haltung Pakistans ist die Überlegung
zweitrangig, ob dieser Erfolg völkerrechtlich ganz sauber zustande
gekommen ist. Er wäre allerdings noch viel nachhaltiger ausgefallen,
wenn Bin Laden schon Ende 2001, kurz nach den Anschlägen vom 11.
September also, in seiner Felsenfestung Tora Bora gefasst worden
wäre. Nicht nur ist der Terrorfürst in jenem Jahrzehnt weitgehend zu
einem bloßen Symbol verblichen; auch Amerika hat sich seitdem
dramatisch verändert. Bin Ladens Tod durch die Hand amerikanischer
Elitekrieger verschafft US-Präsident Barack Obama zwar jenen dringend
benötigten außenpolitischen Erfolg, der ihm in Afghanistan, im Nahen
Osten oder in Libyen bislang versagt geblieben ist. Sogar hartleibige
Republikaner sehen sich zu einem Lob für den Demokraten veranlasst.
Doch dies alles ist für Obama kaum mehr als eine Atempause im
stellenweise bedrückenden Alltag. Die Terrorgefahr bleibt auch ohne
Bin Laden, die Krisenherde am Hindukusch und im Irak kosten weiterhin
viel Geld und Menschenleben – vor allem aber dürfte sich die
Wirtschaftslage der USA durch den Erfolg in Pakistan kaum aufhellen.
Und dies ist letztlich das Feld, auf dem sich Obamas politisches
Schicksal entscheiden wird. Der gefährlichste Gegner der USA lauert
nicht irgendwo in den pakistanischen Bergen, sondern mitten in
Washington. Mit den ideologisch aufgeladenen Grabenkämpfen zwischen
Republikanern und Demokraten um überfällige Reformen, um Steuern,
Hilfsprogramme und Investitionen, aber auch mit seinem grotesk
aufgeblähten Militärhaushalt blockiert sich das Land selber. China,
despotische Supermacht im Wartestand, schickt sich derweil an, die
USA als führende Wirtschaftsnation der Erde zu überholen. Dabei passt
doch gerade Obamas altes Motto auf den Erfolg bei der aufwendigsten
Menschenjagd der Geschichte: „Yes we can!“ Amerika muss sich nun auch
gesellschafts- und wirtschaftspolitisch auf seine Kraft und
Zielstrebigkeit besinnen.
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