HAMBURGER ABENDBLATT: Inlandpresse, Hamburger Abendblatt, Kommentar zur Einschränkung der Pressefreiheit in Ungarn

Es gab Zeiten und Staaten in Europa, in denen galt
die Presse als Transmissionsriemen der Partei. Funktionäre wachten
über das Wohlverhalten von Redakteuren, sorgten für Disziplinierung
und straften Unbotmäßige ab. Vor allem galt es zu garantieren, dass
die Staatsmacht und die Partei stets im rechten Licht erschienen und
Kritik – wenn überhaupt – kontrolliert und fein dosiert unters Volk
kam. Vorbei schienen diese Zeiten – außer vielleicht in Weißrussland,
Moldawien und Transnistrien -, seit die Ungarn im Sommer 1989 das
erste Loch in den Eisernen Vorhang schnitten und der Zusammenbruch
der kommunistischen Diktaturen nicht mehr aufzuhalten war. Welch
bittere Ironie der Geschichte, dass die konservative Regierung in
Budapest jetzt ihre Zweidrittelmehrheit nutzt, Gummiparagrafen
einzuführen, die eine „ausgewogene“ Berichterstattung einfordern, und
staatliche Medien und Agenturen zu zentralisieren. Überwacht wird die
Berichterstattung von einem Komitee aus treuen Parteisoldaten,
eingesetzt für neun Jahre. Immerhin drohen potenziellen Delinquenten
nicht gleich der Gulag, sondern empfindliche Geldstrafen. Insofern
sind die Medienkontrolleure in der neuen Zeit angekommen. Nun lief im
Nachwende-Ungarn tatsächlich nicht alles zum Besten: Einem kurzen und
mit vielen Hoffnungen beladenen Aufschwung folgten Finanz- und
ökonomische Krisen, Korruption und Misswirtschaft ließen Träume
platzen und lähmten das Land. Das alles hat aber ganz sicher nicht an
freien Medien und deren Berichterstattung gelegen. Und mit
Reminiszenzen an die konservativ-autoritären Traditionen des Landes à
la Miklos Horthy lässt sich vielleicht Parteimacht festigen. In einem
demokratischen Staat erfordert Problemlösung jedoch Konsens und
Überzeugung. Ungarn übernimmt im Januar den Ratsvorsitz der
Europäischen Union. Die EU setzt sich seit ihrem Bestehen auch für
die Verbreitung der Meinungs- und Pressefreiheit ein, zurzeit vor
allem in Russland und China. Ein Blick an die Donau lehrt, dass es
auch im eigenen Haus noch wesentlich mehr Aufgaben gibt, als sich um
den Euro, Binnenmärkte und Glühbirnenverbote zu kümmern.
Demokratischer Geist und demokratische Strukturen sind noch längst
nicht bei allen Neumitgliedern so gefestigt, wie es wünschenswert
wäre. Daran mögen unsichere wirtschaftliche Verhältnisse und unstete
Politik mit schuld sein. Eingeschränkte Pressefreiheit wird
Missstände allerdings nur verstärken. Ein paar freundliche, aber
bestimmte Weihnachtsgrüße aus Brüssel nach Budapest sind dringend
notwendig.

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