Glücksspiel-Staatsvertrag nicht mit EU-Recht vereinbar- Glücksspielkollegium ist verfassungswidrig/Rechtswissenschaftler: Staatliche Regulierung des Glücksspiels verstößt gg. EU-Recht und Grundgesetz (FOTO)

Glücksspiel-Staatsvertrag nicht mit EU-Recht vereinbar- Glücksspielkollegium ist verfassungswidrig/Rechtswissenschaftler: Staatliche Regulierung des Glücksspiels verstößt gg. EU-Recht und Grundgesetz (FOTO)
 

Die staatlichen Regelungen zum Glücksspiel in Deutschland
verstoßen gegen EU-Recht und sind verfassungswidrig. Zu diesem
Ergebnis kommen zwei unabhängig voneinander verfasste
rechtswissenschaftliche Gutachten zum Glücksspiel-Staatsvertrag und
zum Glücksspielkollegium der Rechtswissenschaftler Prof. Dr. Hans
Dieter Jarass und Prof. Dr. Gregor Kirchhof.

Jarass: Glücksspiel-Staatsvertrag beeinträchtigt EU-Freiheiten und
kann Spielsucht nicht verhindern

In seinem Rechtsgutachten „EU-rechtliche Probleme der Vorgaben für
die Veranstaltung von Lotterien nach dem neuen
Glücksspielstaatsvertrag“ zeigt der Münsteraner Verfassungsrechtler
Hans Dieter Jarass, dass der Glücksspielstaatsvertrag von 2012 gegen
EU-Recht verstößt und zudem die selbst gesetzten Ziele verfehlt. Das
im Staatsvertrag garantierte staatliche Monopol zur Veranstaltung von
Lotterien beeinträchtige die in EU-Verträgen gewährleistete
Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit. Die Einrichtung eines
Lotteriemonopols unterliege „erhöhten Rechtfertigungsanforderungen“.
Diese sind in Deutschland aber nicht gegeben, so Jarass.

Das Lotterieveranstaltungsmonopol ist 2012 damit begründet worden,
Gefahren für suchtgefährdete Spieler abzuwehren, die mit Lotterien
verbundenen Manipulationsmöglichkeiten und kriminelles Verhalten
einzudämmen sowie die Nachfrage auf legale Angebote zu lenken. Mit
dem Glücksspielstaatsvertrag gelang es jedoch bisher nicht, diese
Ziele zu erreichen, so Jarass. Im Gegenteil. So erlaube der
Glücksspielstaatsvertrag zusätzliche Werbung und steigere dadurch die
Attraktivität von Lotterien. Jarass: „Die Werbeausgaben der
Landes-Lotteriegesellschaften sind im Jahr 2013 gegenüber dem Vorjahr
um rund 50 Prozent gestiegen. Das Ziel, Spielabhängigkeit zu
verringern, wird somit klar verfehlt.“

Das aktuelle Monopol lasse sich auch nicht mit dem Schutz vor
Manipulationen und kriminellem Verhalten rechtfertigen. Hierfür fehle
es an einer transparent an derartigen Zielen ausgerichteten
Regulierung und Organisation des deutschen Lottowesens. Insoweit sei
es auch nicht ersichtlich, dass die gegenwärtige Regelung solche
Ziele besser als eine intensive Wirtschaftsaufsicht gewährleisten
könne. Das Monopol greife in die unternehmerische Freiheit gemäß Art.
16 der EU-Grundrechte-Charta ein. „Da das
Lotterieveranstaltungsmonopol in seiner heutigen Ausgestaltung gegen
das Unionsrecht verstößt, sind die entsprechenden Regelungen des
Glücksspielstaatsvertrags nicht anwendbar“, so das Fazit von Jarass.
Kirchhof: Glücksspielkollegium undemokratisch und verfassungswidrig
Das 2012 durch den Änderungsvertrag zum Glücksspielstaatsvertrag
geschaffene Glücksspielkollegium der Bundesländer untersucht der
Augsburger Jura-Professor Gregor Kirchhof in seinem Gutachten „Das
Glückspielkollegium – eine verfassungswidrige Kooperation zwischen
den Ländern.“ Kirchhof kommt zu dem Ergebnis, dass das Gremium
verfassungswidrig ist und daher abgeschafft oder strukturell völlig
neu geregelt werden müsse.

Das Kollegium, in das die 16 Bundesländer jeweils einen Vertreter
entsenden, entscheidet mit Zweidrittelmehrheit über Erlaubnisse,
Konzessionen und Richtlinien. Dadurch habe es weite
Entscheidungsbefugnisse im grundrechtssensiblen Bereich des
Sicherheits- und Wirtschaftsrechts, denen aber kein hinreichendes
demokratisches Legitimationsniveau gegenüber stehe. So schränkten
seine Entscheidungen beispielsweise die Berufsfreiheit maßgeblich
ein. Das Demokratieprinzip verlange aber in grundrechtssensiblen
Bereichen eine effektive Aufsicht über den Entscheidungsträger und
ein erhöhtes demokratisches Legitimationsniveau. Da im
Glücksspielkollegium Entscheidungen mit Zweidrittelmehrheit getroffen
werden, könne ein Bundesland überstimmt werden, weswegen eine
effektive Rechts- und Fachaufsicht nicht mehr gewährleistet sei. Die
öffentliche Gewalt, die das Kollegium ausübt, sei daher nicht mehr
hinreichend auf die legitime Vertretung der Bundesländer rückführbar,
es entstehe ein verfassungswidriges Demokratiedefizit. „Das Kollegium
ist von Verfassungs wegen abzuschaffen oder strukturell neu zu
regeln“, so Kirchhof.

Das Gebot des demokratischen Rechtsstaats, Verantwortlichkeiten
klar zuzurechnen, Zuständigkeiten und Verfahren der Verwaltung
sachgerecht zu regeln und den Rechtsschutz effektiv auszugestalten,
„fordern, das Glückspielrecht neu zu regeln“, so der Staats- und
Finanzrechtsprofessor.

Zu den Professoren

Prof. Dr. Hans D. Jarass, LL.M., ist seit 1995 Direktor des ZIR
Forschungsinstituts für deutsches und europäisches Öffentliches Recht
an der Universität Münster. Von 1996 bis 2011 war er Leiter des
Instituts für Umwelt- und Planungsrecht der Universität Münster. Von
1982 bis 1990 lehrte Jarass als Professor für Öffentliches Recht und
Europarecht an der Universität Bochum, von 1990 bis 1995 war er dort
Direktor des Instituts für deutsches und europäisches Umweltrecht.
Jarass ist seit 1978 Professor für Öffentliches Recht mit den
Schwerpunkten Verfassungsrecht, Umwelt- und Planungsrecht,
Europarecht und Medienrecht.

Prof. Dr. Gregor Kirchhof, LL.M., ist seit April 2012
Universitätsprofessor und Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches
Recht, Finanzrecht und Steuerrecht an der Universität Augsburg. Von
2011 bis 2012 hatte Kirchhof die Professur für Staats- und
Verwaltungsrecht an der LMU München inne. 2009 bis 2011 war er
Lehrstuhlvertreter an den Universitäten Hannover, Augsburg und
München. Von 2000 bis 2008 war Kirchhof wissenschaftlicher
Mitarbeiter und Assistent von Prof. Dr. Dr. Udo Di Fabio an den
Universitäten München und Bonn. Seit 2011 ist Kirchhof Professor für
Öffentliches Recht mit den Schwerpunkten Verfassungsrecht,
Steuerrecht und Europarecht.

Redeker Sellner Dahs wurde 1929 gegründet und ist national und
international mit über 90 Rechtsanwälten an 6 Standorten tätig. Die
Zusammenarbeit mit internationalen Anwaltsfirmen ergänzt das
umfassende Beratungsangebot in Europa und den USA. Zahlreiche
Publikationen und ständige Referententätigkeiten u.a. an
Universitäten und berufspolitischen Institutionen sind Markenzeichen
aller Anwälte. Die Sozietät fördert Wissenschaft und Forschung mit
der „Konrad-Redeker-Stiftung“ und engagiert sich mit
Pro-bono-Tätigkeiten. Weitere Informationen zur Sozietät erhalten Sie
unter: www.redeker.de

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