Gesunder Egoismus versus Abschied der Ichlinge – Regina Först kommentiert Horst Opaschowski

Horst Opaschowski erklärt, dass in Krisenzeiten kein Platz mehr für Egoisten ist. Die
Sehnsucht nach sozialem Halt und Geborgenheit wächst. Grund dafür seien
Zukunftsängste vor einer Gesellschaft ohne soziale Sicherung.
Regina Först ist überzeugt, dass das Zeitalter eines positiven Egois-mus gerade erst
beginnt. Viele sehen in Egoismus ausschließlich die Handlungen zum eigenen Vorteil auf
Kosten anderer. Wir Deutschen ha-ben schon früh gelernt, uns hinten an zu stellen. „Der
Esel nennt sich selbst zu erst. Ein Brief darf nie mit Ich anfangen.“ So wurde uns gründlich
abgewöhnt, unsere Meinung authentisch zu äußern. Das hat aus uns Erwachsene
gemacht, die sich hinter „man“-Formulierungen verstecken und als Individuum kaum sicht-
und hörbar sind.
Angeboren ist dieses Verhalten nicht. Kleine Kinder nennen sich auto-matisch bei einer
Aufzählung zuerst. Und das nicht, weil sie sich wichtiger nehmen als ihre Freunde. Das
machen wir daraus.

Regina Först definiert Egoismus aus einem positiven Blickwinkel. „Liebe Deinen Nächsten
wie Dich selbst.“ Wir können nur weitergeben, was wir selbst empfinden, als Kraft in uns
tragen. In der Bibel wird das noch als selbstverständlich vorausgesetzt. Wann ging das
verlo-ren?
Auch im Flugzeug fordern uns die Stewardessen freundlich auf, im Fall einer Notsituation
sich zunächst selbst die Sauerstoffmaske aufzuset-zen und dann den Kindern zu helfen.
Das sind die Regeln der Rettungs-einsätze. Helfen können wir nur, wenn wir uns vorher
selbst geholfen haben. Das versteht Regina Först unter dem Egoismus, der sich jetzt
entwickeln darf und muss.

Es ist eine Illusion, zu glauben, dass andere für das eigene Befinden zuständig sein.
Selbst-bewusste Menschen holen Sicherheit, Vertrauen und Verlässlichkeit aus sich selbst
heraus. Dann erst ist ein Zugehen auf andere frei von Erwartungen und Urteilen möglich.
Und das WIR kann konstruktiv wachsen, ohne ständiger Verhandlungsgegenstand von
Geben und Nehmen zu sein.
Menschen, die ihren Wert kennen, erkennen auch den Wert des anderen an. Menschen,
die sich selbst wert schätzen, schätzen auch andere wert. Beim Egoismus, positiv
verstanden, geht es um Miteinander, nicht um Gegeneinander.
Die Sehnsucht nach dem WIR ist da, da stimmt Regina Först mit Horst Opaschowski
überein. Allerdings begründet es sich nicht ausschließ-lich aus Krisenerfahrungen. Denn
unser natürliches Ziel sind gelin-gende Beziehungen und soziale Gemeinschaften. Wir
streben unabhängig von äußeren Umständen nach Anerkennung und Zuneigung und
möchten dies auch weitergeben.

Wenn jeder an sich denkt, ist an jeden gedacht. Wir Menschen sind es zweifelsfrei und
dürfen es auch – im Kern egoistisch sein und gut für uns sorgen. Dann erst können wir
auch gut für andere sorgen. Dann sind wir authentisch und frei von verschwiegenen
Hintergedanken im Umgang miteinander. Authentische Menschen sind berechenbar,
offen, vertrauenswürdig und klar. Sie strahlen von innen nach außen. Und sind im besten
Sinne egoistisch. Menschen, die ihren Wert kennen, brauchen ihn nicht ständig zu
betonen und von anderen bestätigen zu lassen. Das macht unabhängig, stark – und fähig
für ein funktionie-rendes WIR. Nach dem wir uns alle sehnen. Verabschieden wir also die
negativen Seite der Ichlinge und heißen die positiven Seiten willkom-men.