General-Anzeiger: Leitartikelzu Wikileaks: Assanges Kreuzzug

Von Kai Pfundt

Bescheidenheit ist die Sache von Julian Assange nicht. Zumindest
das ist sicher. Im Internet-Dialog der britischen Zeitung Guardian
verkündete der Gründer der Internet-Enthüllungsmaschine Wikileaks, er
habe immer daran geglaubt, dass seiner Erfindung „die Welt verändern
wird“. Allerdings habe er gedacht, dass es „zwei anstatt vier Jahre
dauern“ würde. Assange, der für absolute internationale Transparenz
steht, aber persönlich immer mehr zum Phantom wird, hat gesprochen,
selbst- und sendungsbewusst. Wikileaks hat sich selbst zur Aufgabe
gemacht, denen zur Seite zu stehen, „die unethisches Verhalten in
ihren eigenen Regierungen und Unternehmen enthüllen wollen“. Die
Veröffentlichung jenes unfassbaren Videos, das eine
US-Kampfhubschrauberbesatzung in Videospielmanier beim Angriff auf
unbewaffnete irakische Zivilsten aufnahm, ist ein Musterbeispiel für
dieses Ziel. Selbst die Enthüllung, dass der Partei-Büroleiter von
FDP-Chef und Bundesaußenminister Guido Westerwelle gegenüber
US-Botschaftsmitarbeitern frei von der Leber Interna der
schwarz-gelben Koalitionsverhandlungen ausplauderte, erfüllt diesen
Maßstab. Aber was soll an x-beliebigen Botschaftsberichten über
politische Vorgänge und Akteure in fremden Ländern unethisch sein,
die oft auf nicht mehr als Cocktailgesprächen beruhen? Eine
Viertelmillion Dokumente will Assange veröffentlichen, alle aus
US-Quellen. Abgesehen von der Frage, ob Informationen, auf die über
das US-Regierungsnetz SIPRnet 2,5 Millionen Menschen zugreifen
können, wirklich noch als geheim einzustufen sind: Wikileaks-Chef
Assange muss sich dem Verdacht stellen, dass sein Kreuzzug für totale
Transparenz vor allem ein Kreuzzug gegen die USA ist. Bei den großen
Wikileaks-Coups, für die Assange jeweils nationale Leitmedien wie den
Spiegel, die New York Times oder den Guardian fütterte, nahm er
jeweils Washington ins Visier. Aktuell erfahren die Leser allerhand
über die Reaktionen der USA und der arabischen Welt auf das iranische
Atomprogramm. Interne Informationen über das Atomprogramm selbst und
die Ziele, die das unberechenbare Teheraner Regime damit verfolgt –
also über die eigentliche Bedrohung für die Nachbarn des Iran und den
Westen – dazu hat Wikileaks nichts zu bieten. Es ist ohne Frage
einfacher, in freiheitlichen Rechtsstaaten wie den USA an Dokumente
heranzukommen als in Diktaturen wie Iran. Aber wann veröffentlicht
Wikileaks Dokumente über die Misshandlung von Oppositionellen im
Iran, über die Tausenden Hinrichtungen jährlich in China, über
korrupte Oligarchen in Russland oder Blutdiamanten in Sierra Leone?
Die Antwort: Tatsächliche und behauptete US-Skandale versprechen als
Medienschlagzeile und Skandalfutter für Assanges Gemeinde einfach die
größte Aufmerksamkeit. Die Schieflage dieser Strategie ist
offensichtlich.

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