Der Tag X
Von Holger Möhle, Berlin
Es bleibt eine Frage der Zeit. Alles andere wäre Augenwischerei.
Doch ist die Wahrscheinlichkeit von Terroranschlägen in Deutschland
auch nach den jüngsten Warnungen des Bundesinnenministers so groß wie
immer: Sie ist existent, sie ist latent, nur ist die Gefahr von
Attentaten in den zurückliegenden Wochen konkreter geworden, und zwar
erheblich. Kein Vertun: Die Drahtzieher und Hintermänner des
islamistischen Terrors haben ihre Handlanger längst in Deutschland.
Die Pläne sind gemacht. Und wären sie nicht sehr konkret, hätten die
Ermittler, Fahnder und Nachrichtendienstler keine heiße Spur, wäre
ein von seinem Naturell nicht zu Aktionismus neigender
Bundesinnenminister Thomas de Maizière niemals derart wie gestern an
die Öffentlichkeit gegangen. Der Zeitraum eines möglichen Anschlags
ist den Sicherheitsbehörden schon bekannt: Ende November. Von sofort
an werden Bundespolizisten auf deutschen Flughäfen und Bahnhöfen in
größerer Zahl zu sehen sein. Das muss jeder wissen, der reisen will.
Gerade deshalb wollte de Maizière die Bevölkerung in Deutschland mit
seinem gestrigen Weckruf zu mehr Aufmerksamkeit sensibilisieren. Noch
einmal will er sich nicht vorhalten lassen, er habe wie im Fall der
Paket-Bomben aus dem Jemen die Kanzlerin nur verzögert informiert.
Jetzt weiß es das ganze Land. Deutschland ist in dieser auch
(Terror-)vernetzten Welt keine Insel der Seligen. Deutschland ist
Zielgebiet für Anschläge des islamistischen Terrors. Aber es stimmt
genauso: Deutschland ist ein sicheres Land. Die Mitglieder der
Sauerland-Gruppe wären 2007 nicht gefasst worden, wenn Geheimdienste
ihre Informationen nicht austauschten und die Arbeit deutscher
Fahnder nicht ans Ziel führen würde. Auch dieses Mal haben Polizei,
Verfassungsschutz und Nachrichtendienste belastbare Erkenntnisse
gesammelt. Wenn die Terroristen ihren Plan auflegen, müssen sie auch
wissen, dass der Staat mit seinen Mitteln sein Netz auslegt, die
potenziellen Attentäter zu fassen – vor ihrer Tat. Das Wesen des
Terrors ist es nun einmal, dass er zunächst unsichtbar daherkommt.
Aus dem Nichts an einem Tag X. Hinein ins normale Leben wie bei den
Anschlägen auf Pendlerzüge in Madrid. Erklärtes Ziel der verblendeten
Religionskrieger ist der Kampf gegen die „Ungläubigen“. Es ist auch
ein Kampf gegen die westliche Art zu leben. Ende November ist schon
die Zeit der Weihnachtsmärkte. Ein solches Ziel hätte Symbolkraft.
Der vor Jahren in letzter Minute vereitelte Anschlag auf den
Straßburger Weihnachtsmarkt – schon vergessen? Doch de Maizière hat
Recht, wenn er sagt, dass sich der Westen auch in Zeiten erhöhter
Terrorgefahr seine Lebensweise nicht von Terroristen bestimmen lassen
darf. Sonst hätten die Fanatiker einen Teil ihres Zieles schon
erreicht. Die Gefahr ist da. Die Gefahrenabwehr aber auch.
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