Deutsche Umwelthilfe warnt Regierungsfraktionen vor „kalkuliertem Verfassungsbruch“

Atomgesetznovelle nicht nur wegen Umgehung des
Bundesrats verfassungsrechtlich fragwürdig – Auch ungelöste
Endlagerfrage setzt Laufzeiten verfassungsrechtliche Grenzen – Ebenso
verstößt der neue § 7d gegen Pflicht zur „bestmöglichen
Schadensvorsorge“ – Umweltorganisation schickt Stellungnahme an alle
Bundestagsabgeordneten

Die Deutsche Umwelthilfe e. V. (DUH) hat die Abgeordneten des
Bundestags, insbesondere die der Regierungsfraktionen aus Union und
FDP, eindringlich aufgefordert, bei der morgigen Entscheidung über
Laufzeitverlängerungen für die 17 deutschen Atomkraftwerke die
verfassungsrechtlichen Bedenken ernst zu nehmen. Dabei gehe es nicht
nur um die öffentlich breit diskutierte Umgehung des Bundesrats,
sondern auch um weitere verfassungsrechtlich ebenso fragwürdige
Tatbestände in der vorliegenden Atomrechtsnovelle. Sie sind im
Einzelnen in einer DUH-Stellungnahme aufgeführt, die heute allen
Abgeordneten des Bundestags zugesandt wurde. „Die Abgeordneten müssen
wissen, dass die Atomrechtsnovelle in der eingebrachten Form unsere
Verfassung in mehrfacher Hinsicht überdehnt“, sagte Rechtsanwältin
Cornelia Ziehm, die Leiterin Energiewende und Klimaschutz der DUH und
Autorin der Stellungnahme. „Zur Abstimmung steht ein Hochrisikogesetz
über eine Hochrisikotechnologie.“ Die Abgeordneten müssten wissen,
dass es mit hoher Wahrscheinlichkeit vor dem Bundesverfassungsgericht
scheitern werde.

Die Umgehung des Bundesrats und die Festlegung auf acht bzw. 14
Jahre Laufzeitverlängerung erfolge ohne konkrete Begründung, weil es
eine solche Begründung nicht gebe. Insbesondere gehe sie nicht aus
den von der Bundesregierung beauftragten Energieszenarien hervor, auf
die sie sich die Regierung dessen ungeachtet beruft. Die
Bundesregierung selbst sei es zudem, die der Atomenergie in der
Gesetzesbegründung für die Zukunft eine gegenüber der Gegenwart
veränderte Rolle zugeschrieben habe. Wegen des zunehmenden Beitrags
der Erneuerbaren Energien müssten die Atomkraftwerke technisch anders
betrieben werde. Die modifizierte Betriebsweise führe zu neuartigen
Nachrüstanforderungen, die die Länderaufsichtsbehörden gegenüber den
Betreibern geltend machen müssten. Damit erhalte die Atomaufsicht der
Länder eine „wesentlich andere Bedeutung und Tragweite“. Dies löse
nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts die
Zustimmungsbedürftigkeit des Bundesrats aus.

In hohem Maße verfassungsrechtlich bedenklich sei aber auch die zu
befürchtende Absenkung des Sicherheitsniveaus durch die Einführung
eines neuen § 7d in das Atomgesetz. Mit der Regelung weiche die
Novelle das Gebot der „bestmöglichen Schadensvorsorge“ auf, das
bisher alles umfasse, mit Ausnahme von Risiken, die nach dem Maßstab
praktischer Vernunft (so genanntes Restrisiko) auszuschließen sind.
Zudem würde der Bundestag als Legislative mit der Verabschiedung
verfassungsrechtlich fragwürdig in Rechte der Exekutive eingreifen.
Der Gesetzgeber dürfe nicht pauschal eine Laufzeitverlängerung
beschließen. Vielmehr sei es Aufgabe der Reaktorsicherheitsbehörden,
jeden Reaktor auf seine Sicherheit und Eignung für den Weiterbetrieb
einzeln zu überprüfen. Angesichts der ungelösten Atommüllentsorgung
für hochradioaktive Abfälle würde der Staat darüber hinaus gegen
seine verfassungsrechtlichen Vorsorge- und Schutzpflichten verstoßen,
wenn er in dieser völlig ungeklärten Situation die Produktion von
zusätzlichem Atommüll in der Größenordnung von 25 Prozent zuließe.

Die zur Abstimmung stehenden Änderungsgesetze zum Atomgesetz kämen
einem „kalkulierten Verfassungsbruch“ gleich, sagte Ziehm und
appellierte an die Abgeordneten: „Heben Sie dafür morgen nicht die
Hand“. Link zur Stellungnahme:
http://www.duh.de/pressemitteilung.html?&tx_ttnews[tt_news]=2427

Pressekontakt:
Dr. Cornelia Ziehm, Leiterin Klimaschutz und Energiewende, Hackescher
Markt 4, 10178 Berlin; Mobil: 0160 94182496; Tel.: 030 2400867-0,
E-Mail: ziehm@duh.de

Dr. Gerd Rosenkranz, Leiter Politik und Presse, Hackescher Markt 4,
10178 Berlin; Mobil: 0171 5660577, Tel.: 030 2400867-0, E-Mail:
rosenkranz@duh.de