Bürgerhilfevereine benötigen die Unterstützung der Politik / Wie sich selbstorganisierte Alltagsunterstützung für ältere Menschen in ländlichen Räumen nachhaltig entwickeln kann

Bürgerhilfevereine, die ehrenamtlich Hilfen im
Alltag insbesondere für ältere Menschen anbieten, etwa Fahrdienste
oder Gesprächsrunden, erfüllen wichtige Aufgaben zum Erhalt des
Gemeinwesens in ländlichen Gebieten. Sie füllen ein stückweit dort
die Versorgungslücken, wo Kommunen ihre Schwerpunkte anders setzen
müssen. Allerdings zeigt sich, dass solch freiwillige
zivilgesellschaftliche Hilfsarrangements die Unterstützung aus der
kommunalen und regionalen Politik brauchen, um ihre Aufgaben
langfristig bewältigen zu können. Unkomplizierte Verwaltungsabläufe
und Routinen, die sich auf die Eigenlogiken freiwillig Engagierter,
das heißt auf ihre Vorstellungen von Ehrenamt einlassen, erleichtern
es den Bürgerhilfevereinen, sich an den vielen Arbeitskreisen und
Netzwerken mit ihrem Erfahrungswissen zu beteiligen und als wichtige
Akteure bei der Gestaltung von Lebensqualität im Alter gehört zu
werden.

Zu diesem Ergebnis kommt ein Verbund-Forschungsprojekt der
Hochschulen Fulda und München, das vom Bundesministerium für Bildung
und Forschung in der Förderlinie SILQUA-FH (Soziale Innovationen für
Lebensqualität im Alter) drei Jahre gefördert wurde. Es hat die
Rahmenbedingungen selbstorganisierter Hilfe für ältere Menschen in
ländlichen Gebieten untersucht, die Interessen und Bedürfnisse der
Beteiligten analysiert und herausgearbeitet, wie
Bürgerhilfeorganisationen als lokale selbstorganisierte
Gemeinschaften gestärkt werden können. Drei unterschiedlich
strukturierte Bürgerhilfevereine in Osthessen/Rhön und Oberbayern
waren ebenso Praxispartner in dem Praxisforschungsprojekt, wie die
Kommunen und Landkreise, in denen die Vereine sich engagieren.

Die Interessen der Beteiligten sind unterschiedlich

Gemeinsam mit den Praxispartnern identifizierte das Forschungsteam
die Herausforderungen, denen sich die Bürgerhilfevereine von
politischer Seite, aber auch von Seiten der Hilfesuchenden
gegenübersehen. „Die seit Jahren aus der Politik formulierte
Erwartung, Bürgerinnen und Bürger mögen im Sinne einer –geteilten
Verantwortung– ihren Beitrag in der alternden Gesellschaft leisten,
fordert die Bürgerhilfevereine heraus“, erläutert Prof. Dr. Monika
Alisch, die gemeinsam mit Prof. Dr. Martina Ritter das Projekt
leitete. „Sie müssen sich überlegen, wieviel Verantwortung sie
übernehmen können und wollen.“

Zusammen mit den Hilfevereinen wurden Modelle entwickelt, wie sich
die in jeder der beteiligten Gemeinden sehr unterschiedlichen
Hilfestrukturen weiterentwickeln können, ohne dass sich die
Ehrenamtlichen überfordern oder von anderen überfordert und
instrumentalisiert werden. „Bürgerhilfevereine sind keine
Lückenbüßer, die anstelle des Staates die Grundversorgung für ältere
Menschen sicherstellen können“, betonen die beiden Soziologinnen, die
an der Hochschule Fulda forschen und lehren. Oft engagierten sich
Bürgerinnen und Bürger, weil sie für sich eine sinnstiftende
Tätigkeit suchten, das Dorfleben erhalten oder der Gesellschaft etwas
zurückzugeben wollten – selten aber wollten sie ein zweites
Berufsleben aufbauen. „Der Nutzen der freiwilligen Hilfen liegt daher
auch eher nicht in einer größtmöglichen Versorgung aller
Hilfebedürftigen am Ort. Die Bürgerhilfevereine bieten vielmehr
Plattformen für einen lebendigen sozialen Austausch und soziale
Teilhabe“, erläutert Prof. Alisch. Vereinsnamen wie „Miteinander –
Füreinander“ oder „Füreinander da sein“ machten dies bereits
deutlich.

Die Studie zeigt, dass eine finanzielle Programmförderung der
Vereine, die etwa mit der Auflage verbunden wird, die
Mitgliederzahlen stetig zu erhöhen, die Vereine unter erheblichen
Druck setzt. „Solche Auflagen können dazu führen, dass sich die
Ehrenamtlichen vorrangig mit der Gewinnung von Mitgliedern
beschäftigen“, gibt Prof. Ritter zu bedenken. Dass sich die Politik
eine größere Reichweite der selbstorganisierten Hilfe für Ältere in
ihren Gemeinden wünsche, sei aufgrund des enormen Drucks auf
kommunaler Ebene nachvollziehbar. Erwerbsfähige jüngere Menschen
verlassen die ländlichen Gebiete, die Versorgung mit dem Alltäglichen
wird ausgedünnt und die Steuereinnahmen sinken. Schon heute bestehe
eine Versorgungslücke bei finanzierbaren Hilfen zur Bewältigung des
Alltags älterer Menschen. Doch man dürfe nicht vergessen: Das
Engagement der Bürgerhilfevereine basiere auf Freiwilligkeit, und die
Leistungen seien damit fragil.

Vereine müssen Grenzen und Möglichkeiten des Engagements ausloten

Die Wissenschaftlerinnen sehen die freiwillig Engagierten daher in
einer schwierigen Situation. Sie müssen die Möglichkeiten und die
Grenzen ihres persönlichen Engagements abwägen und gegenüber der
Politik wie auch gegenüber denjenigen, denen sie Unterstützung
anbieten, deutlich machen. Denn das Forschungsprojekt ergab auch,
dass die Bedürfnisse der älteren Menschen in den Gemeinden und die
Interessen der Engagierten keineswegs deckungsgleich sind. So konnten
die Wissenschaftlerinnen gemeinsam mit den Aktiven in den
Bürgerhilfevereinen herausarbeiten, dass Hilfeannehmen für viele
Ältere eine vertrauensvolle Beziehung voraussetzt. Während die
Hilfesuchenden Wert darauf legten, dass man sich schon vor der
Hilfeleistung persönlich näher gekommen sei und dann regelmäßig seine
Helferinnen sehe, wollten die Vereine ungern solche personenbezogenen
Regelmäßigkeiten, die leicht zu familienähnlichen Bindungen führen
könnten. Anfragen nach Hilfediensten über ein Vereinsbüro zu regeln,
erleichtere den Ehrenamtlichen das Helfen – manchen Älteren aber
mache es das Hilfeannehmen schwer.

Wie sich Bürgerhilfevereine weiterentwickeln können

Aus den Studienergebnissen hat das Forschungsteam Modelle der
Weiterentwicklung für die Bürgerhilfevereine abgeleitet: Für mache
Vereine sei der nächste Entwicklungsschritt, die inneren Strukturen
im Verein neu zu organisieren. Es gebe aber auch die theoretische
Möglichkeit, eine (Senioren-) Genossenschaft zu gründen, die als
Soziales Unternehmen handle. Oder man etabliere marktförmig
organisierte Arbeitsverhältnisse und entscheide sich damit für eine
Teilprofessionalisierung, ohne Genossenschaft zu sein. Solche
Optionen für die Zukunft verstehen die Forscherinnen aber nicht als
Abfolge von kleinen zu großen Schritten der Weiterentwicklung. In
welche Richtung sich Bürgerhilfevereine tatsächlich entwickeln, hänge
von verschiedenen Faktoren ab: von der Bereitschaft der Mitglieder,
ihre Vorstellung von Ehrenamt zu verändern sowie von ihren
persönlichen Interessen und Motiven, sich (weiterhin) zu engagieren.
Ob und wie Bürgerhilfevereine aus der Politik unterstützt werden, sei
auch eine Frage der politischen Konstellationen vor Ort: Ist Altern
ein Thema, das als Problem oder als Gestaltungsaufgabe in der Kommune
angegangen wird? Und welche ökonomischen Spielräume hat eine
ländliche Region, sich mit diesen Formen der Selbstorganisation zu
befassen?

Zum Projekt:
Verbundprojekt BUSLAR | Bürgerhilfevereine und Sozialgenossenschaften
als Partner der öffentlichen Daseinsfürsorge und Pflege –
Modellentwicklung zur ergänzenden Hilfeleistung für ältere Menschen
im ländlichen Raum

Das Projekt wurde gefördert vom Bundesministerium für Bildung und
Forschung in der Förderlinie SILQUA – Fachhochschulen forschen –
Soziale Innovationen für Lebensqualität im Alter mit rund 583.000
Euro.

Kontakt Verbund-Forschungsprojekt BUSLAR:
Prof. Dr. Monika Alisch, Hochschule Fulda
E-Mail: monika.alisch@sw.hs-fulda.de
Prof. Dr. Martina Ritter, Hochschule Fulda
E-Mail: martina.ritter@sw.hs-fulda.de

Kontakt Pressestelle Hochschule Fulda
Dr. Antje Mohr
Tel.: 0661 9640 943
E-Mail: antje.mohr@verw.hs-fulda.de

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