Börsen-Zeitung: Stimmung contra Fakten, Börsenkommentar „Marktplatz“ von Christopher Kalbhenn

An den Finanzmärkten verfolgen die Akteure
derzeit sorgenvoll die Entwicklung der Stimmungsindikatoren. Denn das
Bild, das die aus Umfragen unter Unternehmen, Verbrauchern und
Investoren erstellten Indizes derzeit bieten, ist beängstigend.
Beidseits des Atlantiks sind die Stimmungsbarometer in den
zurückliegenden Wochen fast unisono in den freien Fall übergegangen.

Dies zeigt sich an vielen Beispielen. Der Konjunkturindex der
Philadelphia Fed schockte die Märkte kürzlich mit einem Einbruch um
34 auf -30,7 Punkte; auf einem solch niedrigen Niveau hat er sich
außerhalb von Rezessionsphasen noch nicht befunden. Ebenso
erschreckend fiel in der gerade beendeten Woche der Index für das
Verbrauchervertrauen des Conference Board aus, der im August von 59,2
auf 44,5 Zähler abstürzte und damit den niedrigsten Stand seit April
2009 erreichte. In Europa wurde der Markit-Einkaufsmanagerindex
gegenüber der ersten Berechnung überraschend deutlich nach unten
revidiert. Für Deutschland ergab sich ein um 1,1 Punkte niedrigerer
Wert von 50,9 Zählern. Damit liegt der Index nur noch knapp über der
Wachstumsschwelle von 50 Punkten – im Gegensatz zum Index für
Euroland, der auf 49 Zähler revidiert wurde. Auch der
Ifo-Geschäftsklimaindex fiel im August mit einem Rückgang um 4,2 auf
108,7 Punkte über Erwarten deutlich, und die
ZEW-Konjunkturerwartungen sackten um 22,5 auf -37,6 Zähler ab. Der
Global Investor Confidence Index von State Street, der die Stimmung
der Institutionellen misst und im Juli mit 102,5 noch über der
neutralen Marke von 100 lag, brach im August auf 89,6 Punkte ein.

Ein derart extremer Absturz auf breiter Front ist außergewöhnlich
und erinnert in fataler Weise an die verhängnisvolle Entwicklung im
Anschluss an den Zusammenbruch von Lehman Brothers, dem die
schlimmste Rezession seit den dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts
und ein Crash an den Aktienmärkten folgte. Allerdings gehen einige
Beobachter davon aus, dass die Indikatoren ebenso wie die
Aktienmärkte übertreiben und die Stimmung wesentlich schlechter ist
als die tatsächliche Lage. Dabei argumentieren sie mit den Fakten.
Dass eine Rezession kommen wird, ist bisher nur eine Vermutung; in
den harten Daten spiegelt sich der Absturz der Stimmungsindizes
überhaupt nicht wider, auch wenn der US-Arbeitsmarktbericht am
Freitag sehr enttäuschend ausfiel. Die derzeit vorliegenden Tatsachen
deuten vielmehr darauf hin, dass sich das Wachstum deutlicher
verlangsamt, als dies vor wenigen Wochen noch vermutet wurde. Die
Unternehmen sind sowohl operativ als auch finanziell wesentlich
besser aufgestellt als vor der zurückliegenden Krise. Daher wäre der
Aktienmarkt – gemessen am Dax – selbst dann noch moderat bis günstig
bewertet, wenn die Analysten ihre Gewinnschätzungen sehr stark nach
unten revidieren würden.

Allerdings greift eine auf die sichtbaren Fakten beschränkte
Betrachtung zu kurz. Denn die immer negativere Stimmung wird, wenn
sie nicht bald dreht oder zumindest stabilisiert wird, auf das
Verhalten von Unternehmen, Verbrauchern und Anlegern durchschlagen
und somit mit Verzögerung Spuren in realwirtschaftlichen Daten
hinterlassen. Dann bestünde die Gefahr einer Abwärtsspirale mit
weiteren heftigen Marktturbulenzen und sich verstärkenden
Rezessionsrisiken.

Leider spricht derzeit wenig dafür, dass sich die Stimmung in
absehbarer Zeit aufhellen wird. Vielmehr trübten sich in den
zurückliegenden Tagen auch die Fakten weiter ein. Neben dem
Stillstand am amerikanischen Arbeitsmarkt verschärfte sich die
europäische Schuldenkrise wieder. Die Anleihekäufe der Europäischen
Zentralbank scheinen nur bedingt erfolgreich zu sein. Zwar notieren
die Renditen der italienischen und spanischen Staatstitel inzwischen
tiefer. Die Anleiheauktionen beider Staaten stießen jedoch nur auf
äußerst geringes Interesse. Zudem gestand Griechenland ein, dass das
Defizitziel für dieses Jahr nicht zu erreichen ist. Damit verfestigte
sich der Eindruck, dass das angeschlagene Land ein hoffnungsloser
Fall ist. Dies untermauert zugleich die These vieler Skeptiker, die
europäischen Regierungen seien nicht in der Lage, eine tragfähige
Lösung für die Schuldenkrise zu finden, und der offen ausgetragene
Streit mit dem Internationalen Währungsfonds über die
Kapitalausstattung der europäischen Banken wirkt ebenfalls nicht
beruhigend. Das Risiko steigt, dass die Stimmungsindikatoren eben
nicht übertreiben, sondern die künftige Entwicklung zutreffend
vorwegnehmen.

(Börsen-Zeitung, 3.9.2011)

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