Börsen-Zeitung: Paradigmenwechsel, Marktkommentar von Dieter Kuckelkorn

Wer hätte das gedacht: Am Freitag ist der Euro
zum ersten Mal seit rund zwei Monaten über die Marke von 1,30 Dollar
geklettert. Nicht wenige Analysten hatten den Euro noch im Mai und
Anfang Juni auf dem Weg zur Parität mit dem Greenback gesehen. Die
recht dramatische Wende, die die Gemeinschaftswährung vollführt,
hatte hingegen kaum jemand auf dem Radarschirm. Dies ist auch kein
Wunder, denn auf dem Höhepunkt der Schuldenkrise der Europäischen
Union (EU) und der Vertrauenskrise des Euro, als die
Gemeinschaftswährung bis auf 1,19 Dollar nachgab, wäre vermutlich
jeder Analyst, der den jetzt zu beobachtenden rasanten Wiederaufstieg
des Euro vorausgesagt hätte, wegen des Verdachts auf komplette
Unfähigkeit von seiner Position entfernt worden. Damals schien sogar
der Fortbestand der europäischen Währung gefährdet – ein Thema, von
dem man aktuell aus gutem Grund kaum noch etwas hört.

Schwäche des Greenback

Nun darf allerdings nicht übersehen werden, dass die Stärke des
Euro zu einem großen Teil eher die Schwäche des Dollar ist. So ist
der Greenback beispielsweise gegenüber dem Yen auf den tiefsten Stand
seit sieben Monaten gefallen. Der Euro hingegen, der gegenüber Japans
Valuta bis Ende Mai deutlich nachgegeben hat, bewegt sich seither in
einer relativ breiten Handelsspanne seitwärts, ohne gegenüber dem Yen
nachhaltig an Boden zu gewinnen.

Der US-Währung hat dabei eine ganze Serie enttäuschender
amerikanischer Konjunkturdaten zu schaffen gemacht. Am Devisenmarkt
ist es in diesem Zusammenhang zu einem Paradigmenwechsel gekommen:
Setzte bis in den Frühsommer hinein jede negative Überraschung bei
US-Makrodaten in erster Linie den Euro und nicht den Dollar unter
Druck – aus dem Kalkül heraus, dass die Eurozone wegen der
schuldeninduzierten Sparprogramme der Regierungen eh konjunkturell
angezählt ist -, so machen sich die Marktteilnehmer nun Sorgen wegen
der Stabilität der Konjunktur in den USA. Für den letzten Anlauf des
Euro über 1,30 Dollar war dann die amerikanische Notenbank
verantwortlich. Die Fed hat ihre Prognose für das amerikanische
Wirtschaftswachstum im laufenden Jahr gesenkt. Zudem ist dem jetzt
veröffentlichten Protokoll der Zinssitzung vom 22./23. Juni zu
entnehmen, dass einige Mitglieder des Offenmarktausschusses, der den
geldpolitischen Kurs bestimmt, die Meinung vertreten, dass im Fall
einer nennenswerten Verschlechterung der konjunkturellen Aussichten
weitere Stützungsmaßnahmen durch die Fed geprüft werden sollten. Dies
ist bemerkenswert: Während die Europäische Zentralbank (EZB) nach dem
Abflauen der EU-Schuldenkrise auf den Pfad der geldpolitischen
Normalisierung zurückkehrt, indem sie den Märkten einen dreistelligen
Milliardenbetrag an Liquidität entzieht, wird in den USA über ein
neuerliches Fluten der Märkte zumindest nachgedacht.

Für die Stärke des Euro, der mittlerweile um rund 10 US-Cent
zugelegt hat, gibt es weitere Gründe. So hat die EZB, als sich der
Markt mit umfangreichen Leerverkäufen gegen den Euro positionierte,
unter anderem mit dem Bondkaufprogramm klar gemacht, dass es
gefährlich ist, gegen die Gemeinschaftswährung zu spekulieren. Hinzu
kommt, dass sich die Kakophonie der europäischen Regierungen bei den
Bemühungen um die Rettung Griechenlands mit der Verabschiedung des
Rettungspakets gelegt hat. Dies hat zu einem deutlichen Nachlassen
der Krisenängste der Marktteilnehmer geführt, so- dass sich nun
Staaten wie Spanien und Portugal wieder relativ problemlos – wenn
auch zu hohen Zinsen – über den Markt refinanzieren können. Nicht zu
unterschätzen ist zudem der Einfluss der kurzfristigen Zinsen. So hat
sich der Anstieg des Drei-Monats-Euribor als wichtigster
Interbankenzinssatz der Eurozone zuletzt noch beschleunigt, was den
Euro gegenüber dem Dollar attraktiver macht.

Zu erwarten ist, dass der Euro seine Erholung zunächst weiter
fortsetzt. Der weitere Abbau der Leerverkaufspositionen könnte den
Euro über 1,32 Dollar treiben. Eine kurzfristige Gefahr gibt es
allerdings: Fallen die EU-Bankenstresstests, die am 23. Juli
veröffentlicht werden, nicht so freundlich aus wie allgemein
erwartet, könnte die Rally des Euro ein jähes Ende finden.

Pressekontakt:
Börsen-Zeitung
Redaktion

Telefon: 069–2732-0
www.boersen-zeitung.de