Börsen-Zeitung: Mittelklasse, Kommentar von Kai Johannsen zu Mittelstandsanleihen

Dass Börsen wie die von Frankfurt oder Stuttgart
dem Mittelstand den Rücken stärken (wollen), ist ausgesprochen
löblich. Seit Jahren wird in den mittelständischen Unternehmen über
die große Abhängigkeit vom klassischen Bankkredit als das so ziemlich
einzige Finanzierungsinstrument geklagt. Es müssten Ergänzungen bzw.
Alternativen zum Bankkredit her, damit der Mittelstand die
Finanzierung auf eine breitere Basis stellen kann. Schließlich bildet
der Mittelstand das Rückgrat der deutschen Wirtschaft, schafft
Arbeitsplätze und generiert Einkommen. Vor diesem Hintergrund ist die
Schaffung von Marktsegmenten für sogenannte Mittelstandsanleihen sehr
zu begrüßen.

Wie so oft steckt der Teufel aber auch hier im Detail. Und die
Anleger, die diese Anleihen kaufen (wollen), sollten sich die Details
schon sehr genau ansehen – getreu der Devise: Prüfe, wer sich länger
bindet. Bei einem festverzinslichen Investment geht der Anleger, der
auf Buy & Hold setzt, verständlicherweise eine lange Bindung ein. Von
daher sollte ein kritischer Blick auf das Geschäftsmodell, die
Erfahrungen dieses Unternehmens bzw. der handelnden Personen in
dieser Branche, die Liquiditätsausstattung des Hauses – wie haben
sich die Hausbanken in den vergangenen Jahren im Umgang mit diesem
Unternehmen gezeigt? -, die derzeitige Finanzierungs- und
Vermögenssituation und vor allem das Risiko der Anlage geworfen
werden.

Ohne Frage: Bei risikolosen Renditen im fünfjährigen
Laufzeitenbereich deutscher Staatsanleihen von gerade einmal 2,35%
sind Kuponverzinsungen von vier- bis fünfjährigen
Mittelstandsanleihen in Höhe von 7, 8 oder mehr als 9% verlockend –
vor allem für Privatanleger. Aber so ein hoher Zins hat einen Grund,
und der ist sicherlich nicht in der Spendierfreudigkeit des
jeweiligen Unternehmens zu suchen.

Hohe Zinsen bzw. Risikoaufschläge bedeuten – so banal es auch
klingt -, dass die Anlage mit Risiko behaftet ist. Sonst wäre der
Zins nicht so hoch! Entsprechendes lässt sich auch am Rating ablesen.
Single-B oder Doppel-B bedeuten eben auch
Ausfallwahrscheinlichkeiten. Und wie schnell ein Schuldner von der
ehemals solide geglaubten Adresse auf Ramsch abrutschen kann, zeigt
das Beispiel Athen.

Nicht auszudenken, was passiert, wenn in vier oder fünf Jahren in
diesen Börsensegmenten der erste Ausfall auf der Tagesordnung stünde.
Auf Retter wie im Falle Athens werden die Anleger vergeblich warten.
Aber dann wird man wissen, wer klasse und wer höchstens Mittelklasse
gewesen ist.

(Börsen-Zeitung, 8.6.2011)

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