Börsen-Zeitung: Karten auf den Tisch, Kommentar zur EZB von Stephan Balling

Die Europäische Zentralbank (EZB) lässt sich
alle Türen offen, und das ist richtig so. Notenbankpräsident
Jean-Claude Trichet führte dazu auf der gestrigen Pressekonferenz
gleich eine innovative Formulierung ein. Man werde „alle
Entwicklungen sehr genau beobachten“, sagte er. Das ist neu.
Normalerweise gilt die Aussage „sehr genau beobachten“ als Hinweis
auf eine baldige Zinserhöhung, allerdings nur dann, wenn danach die
Worte „in Bezug auf die Aufwärtsrisiken für die Preisstabilität“
folgen. Diesmal hieß es nur, man werde alle Entwicklungen im Auge
behalten.

Angesichts der „Risiken für den wirtschaftlichen Ausblick“
(Trichet) ist diese Position des Abwartens vertretbar. Da zuletzt
auch die monetären Daten – also das Wachstum von Geldmenge und
Kreditvergabe – etwas an Dynamik verloren, ist es durchaus
angebracht, den vor einem halben Jahr begonnenen Zinserhöhungszyklus
nun zu unterbrechen. Allerdings ist auch die Zeit noch nicht
gekommen, die Zinsen wieder zu senken. Das sieht auch die EZB so. Mit
seinem Hinweis, dass die Geldpolitik noch immer „akkommodierend“ sei
– was bei einem Leitzins von 1,5% sicher der Fall ist -, zeigt
Trichet, dass die Währungshüter sich der Gefahren einer zu langen
Niedrigzinsperiode bewusst sind. Das heißt: Bis Ende des Jahres wird
wohl an der Leitzinsfront nichts passieren. Was das Jahr 2012 bringt,
wird sich zeigen. Für Prognosen ist es noch zu früh.

Dass Trichet in der Frage der Zinspolitik so vage bleibt, ist also
richtig. Abzulehnen ist seine Uneindeutigkeit in Bezug auf die 129
Mrd. Euro, die die Notenbank in Staatsanleihen investiert hat. Noch
immer verkauft der EZB-Präsident diese Maßnahme als geldpolitische
Notwendigkeit. Für wie dumm hält er eigentlich die Beobachter der
Notenbank? Trichet sollte endlich die Karten auf den Tisch legen.

Die Käufe von griechischen, portugiesischen, irischen, spanischen
und vor allem italienischen Staatspapieren dienen dem Schutz der
Banken und Versicherungen vor Abschreibungen, sind eine Vorsorge
gegen möglicherweise rasch steigende Renditen auf diese Papiere. Es
herrscht die Sorge, dass ein großes Land wie Italien in
Refinanzierungsprobleme gerät.

Man kann solche Maßnahmen ja rechtfertigen. Aber dann soll man die
wahren Beweggründe auch benennen, und sich nicht hinter
vorgeschobenen Argumenten verstecken. Die EZB ist der „lender of last
resort“ im Euroraum. Sie wird alles tun, um existenzielle Gefahren
für die Währungsunion abwenden, egal was es kostet. Warum gibt
Trichet das eigentlich nicht zu?

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