Börsen-Zeitung: Immer weiter talwärts, Marktkommentar von Kai Johannsen

Am 6. November 1952 setzten sich Wilhelm Vocke,
erster Präsident der Deutschen Bundesbank, und Fritz Schäffer, erster
Finanzminister der Bundesrepublik, mit Vertretern namhafter
Kreditinstitute zusammen. Grund des Treffens war die Einrichtung
eines sogenannten Bundesanleihe-Konsortiums, das Vater Staat den
Zugang zu den Kapitalmärkten und damit die Kreditaufnahme
gewährleisten sollte. Fünf Wochen später kam das erste Schuldpapier
der Deutschen. Fünf Jahre Laufzeit hatte es und zahlte den Investoren
5,5% Zinsen jedes Jahr. 500 Mill. DM wurden seinerzeit über diese
Schuldverschreibung in die Kasse des Staates gespült. An das lange
Marktende wagte sich der Bund erst rund sieben Jahre später. Im
Oktober 1959 gab es die erste Bundesanleihe (Kennnummer: 110001) mit
einer Laufzeit, die heute in den zehnjährigen Bereich eingeordnet
würde. Sie lief bis 1973. Nach Angaben der Deutschen Finanzagentur,
die heute das Schuldenmanagement des Bundes regelt, ging das Papier
an die Anleger zum Satz von 5,5%.

Meilenweit entfernt

Zinsen bzw. Renditen im Bereich von 5 bis 5,5% bei einer Laufzeit
von zehn Jahren sind für Fixed-Income-Investoren ein Traum, sofern es
sich um eine Triple-A-Adresse handelt. Für die Triple-A-Adresse Bund
sind Renditen im genannten Bereich derzeit dagegen ein Alptraum und
angesichts der Marktverfassung und der Perspektiven schlichtweg
undenkbar. Zehnjährige Renditen auf dem Niveau von 5% gelten derzeit
am Markt für die finanziell unter Druck geratenen
Eurozonen-Peripheriestaaten Spanien und Italien. Zumindest versucht
die Europäische Zentralbank (EZB) – so die sich im Markt
verfestigende Einschätzung -, die zehnjährigen Staatsanleiherenditen
dieser beiden Länder auf dem Niveau von um die 5% zu halten, um ihnen
noch den Marktzugang zu gewährleisten. Der Bund liegt meilenweit
davon entfernt. Die zehnjährigen Bundestitel markierten das
Rekordtief in der abgelaufenen Woche – nach dem Rücktritt von
EZB-Chefvolkswirt Jürgen Stark – bei 1,77%. Fünfjährige Laufzeiten
liegen schon unter 0,9%. Bei 30 Jahren sind es rund 2,75%. Traumhafte
Verschuldungskonditionen für den Bund.

Die Bund-Renditen bewegen sich entlang der gesamten
Laufzeitenkurve von zwei bis 30 Jahren Fälligkeit immer weiter
talwärts. Gründe dafür gibt es viele. Seit geraumer Zeit wirkt die
Staatsschuldenkrise als gravierender Einflussfaktor. Die Politik
bleibt Lösungen schuldig, weshalb die Verunsicherung der Investoren
anhält. Das heizt die Flucht in Sicherheit immer wieder aufs Neue an.
Bundesanleihen sind der Nutznießer.

Hinzu kommt, dass sich auch außerhalb der Märkte in den
vergangenen Wochen die Einschätzung durchgesetzt hat, dass die
Staatsschuldenkrise und die damit einhergehenden
Konsolidierungsmaßnahmen zu einem Nachfragerückgang des Staates
führen werden, was die Unternehmen nachhaltig zu spüren bekommen. Das
sorgt für Absatzrückgänge. Die Unternehmen werden mit düsteren
Aussichten aufwarten. Die Kursrückgänge an den Aktienmärkten sprechen
eine klare Sprache. Es wird zudem umgeschichtet, eben in die sicheren
Bundestitel. Die Flucht in Sicherheit hat noch einen weiteren Aspekt.
Der Schweizer Franken war lange Zeit eine Fluchtwährung für die
Anleger. Der Franken wertete enorm auf. In der abgelaufenen Woche
entschieden sich die Schweizer Notenbanker, sich dieser Aufwertung
entgegenzustellen. Zu groß ist die Furcht im eigenen Land, dass die
Wirtschaft infolge der Franken-Stärke erheblich unter Druck geraten
könnte. Die Schweizer Notenbanker legten einen Mindestkurs zum Euro
fest. Die dadurch auflaufenden Euro-Bestände werden die Notenbanker
investieren. Vermutlich werden sie sichere Anlagen wollen. Es darf
spekuliert werden, wie viel in Triple-A-Anleihen der Eurozone
investiert wird und wer davon wohl am meisten profitieren wird.

Zu diesem Mix an Faktoren, die allesamt auf die Bund-Renditen
drücken, kommen nun noch die Wachstumsrisiken für die Eurozone, die
jüngst die EZB ausgemacht hat. Gleichzeitig sehen die
Euro-Währungshüter keine Aufwärtsrisiken mehr für die
Inflationsentwicklung. Auf absehbare Zeit dürften Leitzinserhöhungen
und damit entsprechende Marktfantasien bezüglich der
Renditeentwicklung vom Tisch sein. Aufwärtsdruck auf die
Bundesanleiherenditen ist von dieser Seite demzufolge nicht zu
erwarten. Gegen Ende dieses Monats kommen zudem die deutschen
Schuldenmanager und werden den aktualisierten Emissionsplan für das
vierte Quartal vorlegen. Sollten hier womöglich noch Volumenkürzungen
hinzukommen, spricht auch von der Angebotsseite nichts für steigende
Renditen.

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