BERLINER MORGENPOST: Mehr Geld für den Aufschwung – Leitartikel

Es ist wie so häufig bei den Spitzentreffen der
Staatslenker dieser Welt: Am Ende gibt es ein Kommuniqué, und die
Regierungschefs feiern sich für die angeblich wegweisenden
Fortschritte. Das war beim Gipfel der 20 größten Industrie- und
Schwellenländer (G 20) in Seoul nicht anders. Im Unterschied zu den
vorangegangenen Zusammenkünften zeigt das Ergebnis aus Korea jedoch
zumindest eines: US-Präsident Barack Obama, sein chinesischer Kollege
Hu Jintao sowie Angela Merkel haben begriffen, wie gefährlich es für
Weltwirtschaft und Arbeitsplätze ist, wenn der Streit über unfaire
Wechselkurse und zu hohe Exportquoten in einen Wirtschaftskrieg zu
eskalieren droht. Sie haben sich zwar trotz dieser Erkenntnis
weiterhin nicht auf konkrete Maßnahmen einigen können, um die
Probleme aus der Welt zu schaffen. Aber der Erkenntnisgewinn ist ein
erster Schritt in die richtige Richtung. Getan ist es mit dem
Formelkompromiss von Seoul aber nicht. Denn jetzt werden sich die
drei Streithähne auch in der wirtschaftspolitischen Realität einander
annähern müssen. China, der Gigant unter den aufstrebenden
Schwellenländern, sollte seine Währung aufwerten, wenn es mit Amerika
ins Reine kommen will. Das Land hält seinen Wechselkurs künstlich
niedrig, sodass es seine Produkte konkurrenzlos billig in alle Welt
verkaufen kann. US-Präsident Barack Obama wiederum ahnt, dass er
nicht auf Dauer immer mehr Geld drucken kann, um damit die lahmende
Konjunktur der größten Wirtschaftsmacht anzukurbeln. Langfristig wird
auch Amerika nicht ohne harte Sparmaßnahmen auskommen. Und
Deutschland, so viel ist klar, kommt nicht umhin, etwas für die
Nachfrage im eigenen Land zu tun. Denn auch die Bundesrepublik kann
nicht auf unbegrenzte Zeit ständig viel mehr exportieren als in
anderen Ländern einzukaufen, wenn sie keine Gegenmaßnahmen
provozieren will. Für Deutschland heißt das, die Regierung muss etwas
unternehmen, damit heimische Unternehmen und Konsumenten mehr kaufen.
Steuersenkungen aber schließt de Kanzlerin aus. Vom Staat gibt es
also keinen Impuls für die private Nachfrage. Stattdessen ruft die
Regierung die Arbeitgeber dazu auf, angesichts der guten Konjunktur
ihren Mitarbeitern mehr Geld zu zahlen. Was dieser Appell bewirkt,
ist aber ziemlich ungewiss. Weil die Kanzlerin das weiß, bleibt der
Bundesregierung nur eine Option: Sie muss die Investitionen in
Infrastruktur, in Bildung und in Forschung anheben. Das gelingt vor
allem auf zwei Wegen. Der Staat kann selbst Straßen, Schulen und
Universitäten bauen. Oder er kann Investitionen bei den Unternehmen
anregen, indem er diese Ausgaben steuerlich besser fördert als
bisher. Beides regt die Nachfrage im Inland an. Ob es aber zu dem von
den USA und anderen Ländern gewünschten Effekt führt, dass
Deutschland viel stärker als bisher amerikanische Produkte einkauft
und damit in den USA Jobs schafft, kann selbst Merkel nicht
garantieren. Zumindest aber wäre es nach all dem Zoff ein Schritt
Obama entgegen. Sicher, wirklich neu sind diese Erkenntnisse alle
nicht. Aber zumindest sprechen die Führer der Weltgemeinschaft nun
endlich darüber. An Nicolas Sarkozy, der als Frankreichs Präsident
Gastgeber der G 20 im nächsten Jahr ist, liegt es nun, seine Gäste
davon zu überzeugen, den Einsichten auch Taten folgen zu lassen.

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