BERLINER MORGENPOST: Kommentar zum Nato-Gipfel

Terrorismus, Internet-Attacken, Piraterie: Die
globale Sicherheitslage hat sich in den vergangenen Jahren auf eine
Art verändert, die eine klassische Militärallianz schon als Zumutung
empfinden kann. Insbesondere seit dem 11.September 2001, als
der islamistische Terror mit den Todesflügen von New York und
Washington der westlichen Welt endgültig den Krieg erklärte. Es wird
also höchste Zeit, dass die Nato ihr noch aus dem Jahr 1999
stammendes strategisches Konzept der neuen Lage anpasst. Dringlich
zugleich, weil das Verteidigungsbündnis seitdem von 19 auf 28
Mitgliedsstaaten aufgerüstet hat. Der Lissabonner Nato-Gipfel an
diesem Wochenende wird diese Renovierung versuchen, indem er die
Allianz auf drei Säulen stellt: klassische Landesverteidigung mit
gegenseitiger Beistandsverpflichtung wie bisher, die Abwehr neuer
Bedrohungen durch Terror, feindliche Computerviren und Piraten, und
schließlich die Suche nach Partnern, weil das westliche Bündnis die
Krisen dieser Welt nicht allein bewältigen kann. Und das betrifft vor
allem Russland. In einer multipolaren Welt mit wachsendem Einfluss
Chinas und Indiens braucht der Westen die Unterstützung Russlands, um
die neuen Herausforderungen schultern zu können. Ob Afghanistan oder
der Iran, Afrika oder der Nahe Osten, ob Nichtverbreitung von
Nuklearwaffen oder sichere Energieversorgung – ohne Kooperation mit
Russland kommt die Nato nicht mehr weit. Aber nicht nur die Nato,
auch Russland ist auf Zusammenarbeit angewiesen. In Moskau wird eine
erneute Auslieferung Afghanistans an die Islamisten oder eine
Atommacht Iran ebenso gefürchtet wie im Westen. Sicherheit für
Amerika und Europa gibt es deshalb letztlich nur zusammen mit
Russland. Westlicher Hochmut einerseits, russisches Poltern
andererseits haben in den vergangenen Jahren den Blick für das
Überfällige verstellt. Dabei sollte man nicht vergessen: Dass die
Nato endlich überzeugender von einer Partnerschaft mit Russland
spricht, ist Säule eins ihrer neuen Strategie zu verdanken. Sie
bekräftigt die Beistandspflicht der anderen. Mit dieser Untermauerung
des Artikels5 aus dem Nato-Vertrag wird den neuen
Bündnismitgliedern aus dem alten Warschauer Pakt die Angst vor
erneuter russischer Bedrohung genommen. Damit ist es jetzt an Dmitri
Medwedjew und Wladimir Putin zu zeigen, wie ernst es Russland
tatsächlich mit seinem Selbstverständnis und seiner Forderung meinen,
Teil Europas und damit auch Teil der Sicherheit unseres Kontinents zu
sein. Nach der heutigen Sitzung der westlichen Staats- und
Regierungschefs mit ihrem Kollegen Medwedjew im viel zu lange
vernachlässigten Russland-Nato-Rat sind hoffentlich alle schlauer. Es
gibt noch eine andere Unwägbarkeit: die innenpolitische Schwäche von
US-Präsident Barack Obama. Stoppen die Republikaner im Kongress
tatsächlich die Ratifizierung des Start-Abrüstungsvertrags mit Moskau
und lehnen Obamas Angebot an Russland ab, sich am europäischen
Raketen-Abwehrschirm zu beteiligen, droht das Klima zwischen
Washington und Moskau und damit auch zwischen Nato und Russland
wieder ziemlich eisig zu werden. Und eine zentrale Säule der neuen
Nato-Strategie würde, kaum errichtet, schon gefährlich bröckeln.

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