BERLINER MORGENPOST: Kommentar zu Jugendgewalt und zum Buch der toten Richterin Kirsten Heisig

Welche eine Tragik. Die mutige Richterin, die nicht
achselzuckend hinzunehmen bereit war, dass jugendliche Rechtsbrecher
durch zu viel Nachsicht ungebremst in eine kriminelle Karriere
abstürzen, ist viel zu früh am eigenen Leben gescheitert. Kirsten
Heisig trieb ein hoher Anspruch an. Sie hat wachgerüttelt, sie hat
gewarnt, als Jugendrichterin durchgegriffen. Political Correctness
war ihre Berufung nicht. Das hat ihr nicht nur Zustimmung gebracht.
Vor allem im regierenden politischen Raum Berlins wuchs die Skepsis,
ihr Neuköllner Modell im Bezirk und darüber hinaus auszuweiten.
Zweifel bei allzu vielen juristischen Kollegen kamen dazu. Weil die
Realität des kriminellen Jugend- Alltags den Bedenkenträgern in
Politik und Justiz täglich widerspricht, gilt es gegenüber Frau
Heisig, aber auch gegenüber allen Berlinern eine Verpflichtung
einzulösen: Ihr Erbe darf nicht verspielt werden. Wie das
Gewaltmonopol des Staates bis hin zur Lächerlichkeit strapaziert
wird, haben gerade wieder die kaum dem Kindesalter entwachsenen
Heroin- Dealer vorgemacht. Ein Rechtsstaat, der Jugendkriminalität
allzu oft zum Kavaliersdelikt degradiert, schreckt nicht ab.
Jugendkriminalität muss endlich umfassend vorbeugend wie
unnachsichtig bekämpft werden. So, wie es Jugendrichterin Heisig aus
bitterer Erfahrung auf den Punkt gebracht hat. Soziale
Benachteiligungen oder Missstände allein dürfen nicht taugen für
falsche Entschuldigungen und juristische Nachsicht. Südafrika ist
nicht gerade ein Exempel für Rechtsstaatlichkeit. Aber das Land mit
seiner besonders hohen Kriminalitätsrate, insbesondere unter
Jugendlichen, hat während der Fußball WM vorbildlich bewiesen, wie es
auch gehen kann. Dass die von vielen befürchtete Diebstahls- und
Gewaltorgie verhindert wurde, war kein Zufall, sondern wohl
organisiert. Einerseits durch verstärkten Polizeieinsatz, vor allem
aber durch legitimierte Schnellgerichte, die abschreckende Wirkung
zeigten. Schnellgerichte sind auch in Deutschland Teil der
Rechtsprechung. Es gab sie während der WM 2006, es gibt sie jedes
Jahr während der 1. Mai Demonstrationen und es gibt sie
beispielsweise dauerhaft in Tempelhof, wenn es um Bagatellfälle und
einen reuigen Täter geht. Schnellgerichte sind also mit einem
rechtsstaatlichen System sehr wohl vereinbar. Warum diese nicht
weiterentwickeln und ausbauen, da jeder weiß, dass vor allem bei
jugendlichen Ersttätern die wirksamste Strafe die ist, die auf dem
Fuße folgt? Gewiss, Kirsten Heisig war ehrgeizig. Nicht zum eigenen
Vorteil. Sie war es für die Gesellschaft, auch für die Jugendlichen,
über die sie zu urteilen hatte. Ihr Ehrgeiz lag darin, sie von der
schiefen Bahn zurückzubringen, andere gar nicht erst auf sie
abrutschen zu lassen. Dieses Ziel bleibt Herausforderung über ihren
Tod hinaus. Politik und Justiz müssen dafür bereit sein,
ausgetretene, fehl leitende juristische Pfade zu verlassen.

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