Irgendwas Auffälliges am gestrigen Mittwoch? Eher
nicht. Mittelguter Sommertag, ein wenig Krisenpause, nicht mal
Fußball – Deutschland gibt sich dem Flip-Flop-Feeling hin. Für den
Bundesaußenminister, Vizekanzler und FDP-Chef war dieser Mittwoch
allerdings ein historischer, der Tag des Neustarts, der Beginn von
Westerwelle 2.0. Während die Kanzlerin rund um den Ortler nach festem
Tritt sucht, leitete ihr Stellvertreter die Kabinettssitzung – bei
der allerdings nur acht von fünfzehn Ministern zugegen waren – zudem
gab er eine umfängliche Bundespressekonferenz und bat hernach auch
noch ins Auswärtige Amt, um die großen Linien seiner Diplomatie zu
verdeutlichen. Westerwelles Kalkulation ist klar: Das Sommerloch
bietet viel Platz. Und wenn einer in den vergangenen Monaten Probleme
hatte, dann kann er diesen Platz nutzen, um endlich mal einiges
richtigzustellen. Immerhin: Westerwelle hatte die Triumph-Sirene
leiser gestellt, zeigte sich besorgt über die Spannungen in Nahost
und versuchte gar dosierte Selbstkritik. Doch für einen
Wahrnehmungswandel ist es zu früh. Weder Medien noch Menschen
funktionieren nach pawlowschen Reflexen, jedenfalls nicht
zuverlässig. Viel Platz in den Medien bedeutet in Westerwelles Fall
nach wie vor: viel Platz für Hohn und Spott. Zu durchsichtig ist die
Inszenierung als großer Politikgestalter für einem Tag, zu präsent
sind Flugbegleiter-Fälle und Sozialpolitik-Statements, nicht
eingelöste Steuerversprechen, Wahlschlappen und Streitereien mit der
CSU. Gerecht oder nicht: Westerwelle ist Gesicht und Habitus des
grandiosesten Fehlstarts, den je eine Bundesregierung hingelegt hat.
Das wirkt nach, bei Wählern und Partei. Die jüngsten Umfragen belegen
erneut, dass die FDP die kostbarste Ressource der Politik verspielt
hat: Vertrauen. Es hätte für Westerwelles Lernfähigkeit gesprochen,
wenn er sich in der edelsten Tugend des Volksvertreters geübt hätte:
Zurückhaltung. Nach dem Watschengewitter der letzten Monate hätte der
Ober-Liberale auch kurz und knapp auftreten können, mit einer Portion
Selbstironie, die eigene Wichtigkeit betreffend. Leider vergeigt –
Westerwelle musste zwei Wochen nach der Kanzlerin unbedingt auch noch
mal sagen, wie er denn alles so findet. In Krisenzeiten ist es
bisweilen ratsam, einfach mal die Klappe zu halten. Zumal der anfangs
verspottete Wirtschaftsminister Brüderle als Debattentreiber langsam
zu Form findet, Kollegin Leutheusser-Schnarrenberger das lange
verödete Feld der Rechtspolitik mit populistischer Routine bestellt
und mit Generalsekretär Lindner eine gewisse Ernsthaftigkeit
eingezogen ist bei den Liberalen. Fakt ist: Die FDP spielt mit einem
stillen Westerwelle wie die Nationalelf mit einem verletzten Ballack
– bestimmt nicht schlechter. Aber das politische ADS, eine grundlose,
dafür dauerhafte Hibbeligkeit scheint Westerwelle zu eigen. Er selbst
und das Land werden damit leben müssen. Er empfinde es als eine große
Ehre, „dass man seinem Land dienen darf“, tremolierte der
Außenminister gestern. Jetzt muss er nur noch damit anfangen.
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