Während zu Hause immer vernehmlicher an seinem
Vorstandsstuhl gesägt wird, hat Guido Westerwelle auf dem politisch
nach wie vor stark verminten Balkan versucht, seine Rolle als
Außenminister zu stärken. Allerdings muss ihn auch die Reise von
Kroatien bis zum Kosovo bei ehrlicher Bilanzierung ernüchtert haben.
Denn gut zehn Jahre nach Ende der letzten Kämpfe im ehemaligen
Restjugoslawien schweigen zwar die Waffen, die neue Landkarte der
Nachfolgestaaten des einstigen Tito-Imperiums wird dagegen noch immer
infrage gestellt. Der große Störenfried bleibt Serbien. Sowohl
gegenüber dem Kosovo, dessen Abspaltung Belgrad nicht anerkennen
will, wie auch gegenüber dem multiethnischen Bosnien-Herzegowina,
dessen serbische Teilrepublik Srpska heim nach Belgrad strebt. Wie
unverändert brisant die Gesamtlage auf dem Balkan ist, davon kündet
der Einsatz deutscher Soldaten im Rahmen der Eufor-Mission in
Bosnien-Herzegowina wie des Kfor-Mandats im Kosovo. Ohne sie wäre der
Frieden zwischen den Volksgruppen noch immer stark gefährdet. Dabei
streben alle in die Europäische Union. Eine Überlebensperspektive,
die aus dem zerbrochenen früheren kommunistischen Jugoslawien bislang
allein Slowenien erreicht hat. Westerwelle wollte mit seiner
Balkan-Tour nun testen, wie EU-tauglich die übrigen untereinander
ziemlich zerstrittenen, ja verfeindeten Kandidaten sind. Damit ist es
– Ausnahme Kroatien – noch immer nicht weit her. Dabei ist schwer
vorstellbar, dass sich der einst geschlossene balkanische
Wirtschaftsraum so aufgesplittert wie derzeit ohne Wiederannäherung
und irgendwann auch unter dem Dach der EU zu einer prosperierenden
Region wird entwickeln können. Wie weit dieser Weg noch ist, davon
hat sich der deutsche Außenminister vor Ort überzeugen müssen. Aber
er hat in verdienstvoller Weise seinen Gesprächspartnern vor allem in
Serbiens Hauptstadt Belgrad, aber auch in Bosnien-Herzegowinas
Regierungszentrale Sarajevo unmissverständlich klargemacht, dass sie
endlich die neuen territorialen Realitäten anzuerkennen haben, bevor
überhaupt weiter an einen EU-Beitritt gedacht wird, geschweige denn
Verhandlungen aufgenommen werden. Wenn Belgrad tatsächlich in der
UN-Vollversammlung im September eine Resolution einbringen wird, um
die vom Internationalen Gerichtshof gerade völkerrechtlich bestätigte
Loslösung des Kosovo von Serbien wieder rückgängig zu machen,
unterstreicht das nur, wie meilenweit die unverändert zur
Selbstüberschätzung neigenden Serben noch immer von Europa entfernt
sind. Das kann uns nicht völlig gleichgültig lassen. Der Balkan liegt
vor unserer Haustür, ist eher ein Teil Europas als die Türkei. Aber
es gibt für niemanden einen Freifahrtschein in die Europäische Union.
Dies in aller Klarheit noch einmal bekundet zu haben ist der
bescheidene Erfolg der Reise Westerwelles.
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