BERLINER MORGENPOST: Eine Bombe gegen den Geist der Freiheit – Leitartikel

Nachmittägliche Kindertransportfahrt. Plötzliche
Eilmeldung im Radio: „Explosion am Moskauer Flughafen. Vermutlich
Selbstmord-Attentat.“ Frage von der Rückbank mit aller
Unbefangenheit, die nur 5-Jährige aufbringen können: „Papa, was ist
ein Selbstmord-Attentat?“ Beklommenes Schweigen. Wie erklärt man
einem Kind jenen Irrsinn, der schon halbwegs normale Erwachsene
überfordert? Spontaner Sender- und Themenwechsel. Man muss nicht
alles kindgerecht aufbereiten, schon gar nicht dieses Massaker.
Terror ist immer grausam, doch die Bombe in der Ankunftshalle des
Moskauer Flughafens Domodedowo war besonders perfide: kein
blindwütiger Akt, sondern von gezielter Arglist. Wenn die Welt einen
Ort der Hoffnung, des Zueinanderkommens, der Zukunft bietet, dann ist
es die Ankunftsebene eines Flughafens: Herzklopfen, aufgeregte
Kinder, eine Rose in der Hand. Zugleich ist dieser Bereich, wo sich
Wartende und Zurückkehrende treffen, kaum zu schützen. Offenheit für
alle ist das Prinzip der Ankunft. Wer hier bombt, der ist kein Idiot,
sondern ein durchtriebenes Monstrum, das auf das Urvertrauen der
Menschen zielt. Jeder Bürger in Russland, alle mobilen Menschen auf
der ganzen Welt soll Angst, Unsicherheit, Misstrauen eingejagt
werden. Es wäre leichtfertig, das Attentat, das gut drei Flugstunden
von Berlin entfernt geschah, als innerrussisches Problem zu
begreifen. Mag sein, dass das obskure „Emirat Kaukasus“ hinter diesem
und den anderen Anschlägen der vergangenen Jahre steckt, ob auf
Fernzüge oder die Moskauer U-Bahn. Mag das Ziel vordergründig der
Kreml sein, so richtet sich die Bombe am Ende gegen jeden Menschen,
der nicht nach den Regeln von Warlords und Scharia funktioniert. Ob
New York, Madrid, Bali oder all die anderen Schreckensorte – stets
galten die Anschläge einem freiheitlichen Bewusstsein. Die Toten und
Verletzten von Domodedowo sind auch als blutige Mahnung für
permanente Wachsamkeit zu verstehen. Natürlich haben wir uns immer
mal wieder bei dem Gedanken ertappt, dass man die rot-weißen
Absperrgitter doch auch mal wieder einsammeln könnte, die seit
Monaten den Reichstag umstellen. Die Warnungen kurz vor dem
Jahreswechsel hatte manch einer vielleicht auch etwas zu lässig
genommen. Die Schlangen an den Sicherheitsschleusen, die jeder
Silvesterparty-Besucher zu passieren hatte, erscheinen im Nachhinein
ein geringer Preis für das Gefühl relativer Sicherheit auf Berlins
Feiermeile. Aber eben nur relative Sicherheit. Denn Terror ist wie
eine Naturkatastrophe. Er kann überall und zu jeder Zeit geschehen.
Betrachtet man die Stadt mit den Augen eines potenziellen
Attentäters, kommt man auf Dutzende potenzieller Ziele. Niemand
vermag zu beurteilen, ob Hunderte von Sicherheitskräften, die täglich
tapfer durch Berlin streifen, ein Attentat verhindert haben. Aber die
Männer und Frauen in Grün stehen sichtbar für jeden als Symbole einer
wehrhaften Gesellschaft, die nicht gewillt ist, sich ihre
verbliebenen Ideale eines offenen, liberalen und demokratischen
Miteinanders zerbomben zu lassen.

Pressekontakt:
BERLINER MORGENPOST
Chef vom Dienst
Telefon: 030/2591-73650
bmcvd@axelspringer.de