Endlich wieder ein Grund für die USA, sich als
Weltmacht zu fühlen. Freude und Stolz der Amerikaner über den Tod des
weltweit gefährlichsten Terroristen sind von geradezu
psychotherapeutischer Erleichterung. Für einen Moment sind all die
Kriege und Krisen vergessen. Einhellig gratulieren sich Präsident
Obama und seine Vorgänger Bush jr. und Clinton zu gemeinsamer
Großartigkeit, zum Triumph der gerechten Sache, in einer gleichsam
chirurgisch erledigten Kommandoaktion ohne allzu viel Blutvergießen.
Fast zehn Jahre danach ist der Anschlag auf das World Trade Center in
New York in der Wahrnehmung vieler Amerikaner nun gesühnt und
gerächt. „Der Gerechtigkeit ist Genüge getan“, erklärte Obama
pathetisch. Wie es sich für die USA gehört, taugt die Jagd auf Bin
Laden zu erstklassigem Hollywood-Stoff; Rechte und Hauptrollen
dürften bereits verhandelt werden. So hat Osama Bin Laden für einen
Moment geschafft, woran sich ein mit vielen Hoffnungen gestarteter
US-Präsident bislang vergeblich versucht hat: ein ebenso
verunsichertes wie politisch gespaltenes Land auf einen Konsens zu
vereinen, der das angeschlagene Ego der Mehrheit aufrichtet. Das
Problem dabei: Nach der Sühne ist vor der Sühne. Auch wenn dem
internationalen Terrorismus ein herber Schlag versetzt wurde, dürfte
das globale Risiko von Attentaten künftig kaum reduziert worden sein.
Im Gegenteil: Weit mehr als operative Macht hatte Bin Laden die Rolle
des Chef-Charismatikers inne, der mit unregelmäßigen Videobotschaften
und per Kurier verschickten Instruktionen an seine Kommandeure vor
allem für den Überbau sorgte. Die Vita vom Millionenerben zum
Dschihadisten, seine eitlen Inszenierungen, die gruseligen Ideen
besaßen die Kraft, ein globales Netzwerk des Terrors zu installieren
und am Leben zu erhalten, das praktisch in jedem Land der Welt
zuschlagen konnte. Aber der gebürtige Saudi war wohl eher mit Tarnen
und Verstecken beschäftigt als mit der konkreten Planung von
Anschlägen. Ob Bin Ladens Stellvertreter Aiman al-Sawahiri, der nun
die Nummer eins bei al-Qaida sein dürfte, diese Kraft entfalten wird,
ist womöglich gar nicht so wichtig. Denn längst arbeiten viele Zellen
überall auf der Welt als selbstständige Einheiten. Wie ein
Computervirus hat sich die Organisation inzwischen in die Welt
gefressen. Ob Jemen oder Libyen, Wasiristan, Kaukasus oder Düsseldorf
– in vielen Ecken lauern Kämpfer, deren Lust am Morden durch den Tod
Bin Ladens eher geweckt worden sein dürfte als gebremst. Welche
dieser Gruppen tatsächlich zu al-Qaida gehören oder aber ein
Eigenleben entwickelt haben, wissen nicht einmal Terrorfahnder zu
beurteilen. In ihrem Bedarf nach Sühne für den Tod Bin Ladens wird
sich der globale Terror allerdings einig sein. Vergeltung ist eine
mächtige emotionale Legitimation, nicht nur in der Gedankenwelt von
Weltmächten, sondern auch bei Bombenlegern. Grausam, aber
wahrscheinlich: Der Tod Bin Ladens hat das Risiko von Anschlägen
nicht gesenkt, sondern eher erhöht. Der Triumph der USA beendet nicht
den internationalen Terrorismus, sondern allenfalls ein Kapitel.
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