Morgen wird in Duisburg der Trauergottesdienst für
die 21 Toten und vielen Hundert Verletzten der Love Parade 2010
stattfinden. Jeder, der in Duisburg trauert, jeder, der etwas gilt in
der Stadt, wird anwesend sein. Alle, nur der Oberbürgermeister Adolf
Sauerland nicht. Um die „Gefühle der Angehörigen“ nicht zu verletzen
und „mit seiner Anwesenheit nicht zu provozieren“, werde er der
Veranstaltung in der Salvatorkirche fernbleiben, sagte er einer
Zeitung. Schon als er am Tag danach Blumen am Ort der Tragödie
niederlegen wollte, wurde er ausgebuht und musste, flankiert von
Leibwächtern, aus dem Tunnelbereich fliehen. Seine Familie, so heißt
es, habe inzwischen Duisburg verlassen – aus Angst vor Ãœbergriffen.
Sauerland selbst soll Morddrohungen erhalten haben. Aber
zurücktreten, das will er weiterhin nicht. Man müsse sich Zeit
nehmen, „die schrecklichen Ereignisse aufzuarbeiten“, sagt er. Und
alle fragen sich: Warum nur klebt der Mann so sehr an seinem Amt?
Eine katastrophale Fehlplanung, die zu 21 Todesopfern führte, eine
Stadt, die ihr gewähltes Oberhaupt vom Tatort jagt – was muss denn
noch passieren, bis dieser Oberbürgermeister einen Rücktritt erwägt?
Denn natürlich trifft ihn eine Schuld. Bislang noch keine juristische
Schuld. Die muss vor Gericht geklärt werden. Aber eine moralische
Schuld belastet ihn längst. Als oberster Verwaltungschef seiner Stadt
läuft bei ihm alles zusammen. Und es gab genug Warnungen aus eigenen
Behörden. Hat er sie überhört? Dann hat er versagt. Hat er sie gar
beiseitegewischt? Dann erst recht. Wir leben in einer merkwürdigen
Zeit. In den letzten Monaten haben wir so viele politische Rücktritte
erlebt, die wir nicht wirklich verstanden haben. Der Bundespräsident
verabschiedete sich Hals über Kopf, bis heute weiß niemand genau, was
Horst Köhler dazu bewogen hat. Er reitet jetzt mit seiner Frau auf
Norderney und lässt lediglich wissen, er sei mit sich selbst im
Reinen. Roland Koch entdeckte plötzlich das Private, Ole von Beust
seine time to say goodbye. Und das sind längst noch nicht alle
Amtsfluchten. Aber für all die Dinge, die wirklich die Welt oder das
Land erschüttert haben – von Finanzkrise bis Bahn-Chaos -, da hat
keiner seinen Hut genommen. Adolf Sauerland ist in Gefahr, zu einer
Symbolfigur für eine politische Klasse zu werden, die ihren
moralischen Instinkt zunehmend verliert. Dieser Oberbürgermeister
wollte die Love Parade um jeden Preis in seiner Stadt haben. Wäre
alles gut gegangen, hätte man ihn dafür gefeiert. Aber es kam anders,
sehenden Auges offenbar. Nun muss er auch die Verantwortung für die
Katastrophe mittragen – und seinen Schreibtisch räumen. Am Sonnabend
trauert eine Stadt um ihre Toten. Alle kommen. Nur einer nicht: der
Oberbürgermeister. Weil er sich vor seinen wütenden Bürgern
verstecken muss. Auch das ist Deutschland im Sommer 2010.
Pressekontakt:
BERLINER MORGENPOST
Chef vom Dienst
Telefon: 030/2591-73650
bmcvd@axelspringer.de